„Och, eigentlich koennte ich ja schon hier mein US-Visum beantragen.“ – denke ich eines Morgens beim Fruehstuecken in der Casa de Cyclistas in La Paz. Nach zwei nervenaufreibenden Tagen, die ich brauche, um dieses Formular online auszufuellen, bekomme ich die Nachricht, dass das obligatorische Interview in vier Wochen stattfindet. Das macht natuerlich alle meine Plaene zunichte, die ich fuer Peru hatte, naemlich vor der Regenzeit dieses Land durchquert zu haben. Egal.
Auf nach Cusco
Zu dritt machen wir uns auf den Weg zum Titikaka-See. Sarah, Jakob und ich. Nach fast vier Monaten kreuzten sich unsere Wege zufaellig wieder auf der Ruta des los Muertos als die beiden auf dem Weg nach La Paz waren.

Sarah and Jakob again
Weil die Bolivianer des Altiplanos als sehr verschlossen gelten, sind wir freudig ueberrascht ueber all die Neugierde und Offenherzigkeit, die uns entgegenschlaegt.
Lago Titikaka
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An unserem letzten Tag in Bolivien auf dem Weg nach Peru klaut jemand mein wertvolles Werkzeugetui aus der kleinen Rahmentasche. Normalerweise habe ich Charlotte immer im Blick, wenn ich essen gehe oder einkaufe. Ich bin unvorsichtig geworden. – Ist ja nichts passiert, bisher. Das GPS und der Tacho in der anderen Tasche sind zum Glueck noch da. Ich bin erleichtert. Das war ein Schuss vor den Bug, eine Warnung, die ich mir zu Herzen nehme.
Der Venezolaner an sich
Auch in Peru aendert sich nichts an der Freundlichkeit der Menschen die wir treffen.

Working and drinking together on weekend
Bis wir die Region rund um Chupa an der Laguna de Arapa erreichen. Uns fallen die ganzen Schilder auf: „Wir bewachen unser Dorf.“, „Kein Raub“, „Kein Ueberfall“.
Wir gruessen und bekommen kaum eine Antwort. Wir fragen, ob wir unsere Zelte aufstellen duerfen und bekommen nur Absagen. Abseits eines Dorfes finden wir in der Daemmerung eine von der Strasse nicht einsehbare Wiese. Die Zelte aufgestellt fangen wir an zu kochen als wir uns ploetzlich von diesem Mob umgeben sehen. „Ihr duerft hier nicht zelten.“ Sie drohen uns mit der Polizei, wenn wir nicht sofort verschwinden. Agression liegt in der Luft. Ich frage, was los ist, warum wir hier nicht zelten duerfen.
„Es ist zu gefaehrlich, wenn euch was passiert, liegt es in unserer Verantwortung.“
„Warum ist es gefaehrlich hier?“
„Die Venezolaner kommen, stehlen, ueberfallen und bringen einen um.“
Das ist ein harter Vorwurf und ich will wissen was genau passiert ist.
„Es passiert.“ – die Antwort.
Wir verschwinden und Sarah, die aus Thueringen stammt, fragt sich und uns laut, ob hier die Sachsen Perus leben.
Im naechsten Dorf finden wir zum Glueck Unterschlupf im Gemeindesaal. Noch einmal frage ich, warum die Menschen hier so eine Angst haben, frage noch einmal, was genau passiert ist und bekomme dieselbe Antwort. „Es passiert.“
Wenige Tage spaeter in Azangaro fragen wir nach einer Schlafmoeglichkeit. Ein Teil der Antwort des Lehrers: „Es ist sicher hier, ihr braucht keine Angst haben. Hier gibt es keine Venezolaner.“
In Cusco bleibt mein Blick an einer Zeitung haengen: „Venezolanerin verkauft ihr Baby an ein Paar aus Cusco.“

Newspaper
Wie einfach ist es, Hass und Rassismus zu schueren, Angst zu verbreiten. Es gibt kaum oder garkeine Presse in Peru, die etwas Niveau hat. Die Fernseh-„Nachrichten“ drehen sich lediglich um Ueberfaelle, Morde und Verkehrsunfaelle. In der Schule wird auswendig gelernt. Kritisch etwas zu hinterfragen steht nicht auf dem Lehrplan. Nun ja, niveauvolle Zeitungen, in einigen Kreisen auch „Luegenpresse“ genannt, niveauvolle Nachrichtensendungen, Schulunterricht in dem auch das Diskutieren gelehrt wird, schuetzen auch nicht vor dumpfem Rassismus.
Weil Sarah und Jakob einfach zu schnell fuer mich sind, verabreden wir uns in Cusco. Ich nehme den Bus und die beiden treten in die Pedale. Der Bus braucht fuer die ca. 300 km fast sechs Stunden. Leute steigen aus, steigen ein. Es gibt keine Haltestellen. Keinen Fahrplan. Im Hostel Estrellita bleibe ich fast zwei Wochen. Wann immer ich beschliesse, am naechsten Tag zu fahren, kommen wieder interessante Leute, die etwas spannendes zu erzaehlen haben, und ich bleibe.

Hostel Estrellita
Auch Melanie und Flavio, das letzte Mal in La Paz getroffen, sind in Cusco. Wir schlendern durch das aufgemotzte Zentrum. Alles ist sauber, kein Muell, kein abbroeckelnder Putz an den Waenden.

Plaza de Armas in Cusco
Ein Capucchino kostet soviel wie zwei Mittagessen, bestehend aus Vorsuppe, Hauptgericht und Getraenk. Die vielen Sonnenbrillenverkaeufer auf der Plaza tragen ihre Sonnenbrillen nur zum Schein mit sich herum, denn eigentlich verticken sie Marihuana. Ich verabschiede mich von Melanie und Flavio. Wer weiss, wann und ob wir uns je wiedersehen.
Zurueck nach La Paz
Mit dem Bus geht es nach Puno, am Westufer des Titikakasees. Ich finde ein Hostel mit dem Namen „warmi uta“ – Haus der Frau. Dann faengt es an zu regnen. Bis zur Bordsteinkante steigt das Wasser in den Strassen innerhalb Minuten. Ein erster Vorbote der kommenden Regenzeit. Aber so sicher wie es nachmittags, abends und nachts regnen wird, so sicher wird morgens die Sonne scheinen. Ich mache mich fahrradfahrend auf den Weg zurueck nach La Paz. Die dunklen Regenwolken, die sich ab mittags am Himmel zusammenziehen stressen mich. Es kann in fuenf Minuten anfangen zu regnen oder erst in drei Stunden.
Aber ich habe Glueck und finde fuer jede Nacht ein trockenes Plaetzchen, wenige Minuten bevor der Himmel seine Pforten oeffnet. Eine kleine Hospedaje mit Loch im Dach, unter dem ein Eimer steht,

Hospedaje mit Regeneimer
ein ungenutzter Raum einer Gesundheitsstation.

Centro de salud
Kurz vor der bolivianischen Grenze sehe ich auf einem Acker ein Ochsengespann. Ein seltener Anblick, denn ueblich sind Traktoren oder Esel.

Working on fields with donkeys
Eine Frau bearbeitet die grossen Erdklumpen mit einer Hacke, ein Mann dirigiert die Ochsen.
Ich fahre vorbei, drehe wieder um, moechte ein Foto machen.
Ich frage und die Antwort des Mannes lautet: „10 Dollar“
Ich lache den Mann an: „no pago – ich bezahle nicht.“
und er erlaubt mir, ein Foto zu machen.
Spaeter begutachtet er Charlotte.
„Was kostet dein Fahrrad?“
„50 Dollar.“
„Es hat nur einen Gang.“
„Ja, es hat nur einen Gang. Darum ist es auch nicht teuer.“
Ich luege ohne rot zu werden, denn die Wahrheit ist hier fehl am Platz.

The foto
Copacabana
In Copacabana sind alle sauer. Der Buergermeister haelt sich nicht an die Regeln. (Mehr verstehe ich nicht.) Im lokalen Radio wird zu einem Generalstreik aufgerufen und tatsaechlich. (Fast) alle Laeden sind am naechsten Tag geschlossen. Die Menschen versammeln sich auf dem Platz vor dem Rathaus. Diskutieren, stricken, haekeln, halten Reden und halten zusammen.

Assembly on the Plaza

nearly all shops are closed
Es gibt nichts und niemanden, der ihnen die Einnahmensausfaelle fuer diesen Tag ersetzt. Aber das hier ist wichtiger.

Copacabana

Copacabana
Die vorletzten Touristen verlassen die Stadt. Und einen Tag spaeter mache auch ich mich auf den Weg. Ueber kleine holprige Nebenstrassen fahre ich zum Bootsanleger in San Pedro de Tiquina, ueberquere die kleine Bucht mit einer der sehr wackeligen Faehren.
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Ich erfahre, dass die Hauptstrassen nach Copacabana blockiert sind. Ob die Einwohner Copacabanas den Buergermeister erfolgreich aus seinem Amt blockieren und streiken, weiss ich nicht, aber was mich fasziniert, ist der Zusammenhalt der Leute, und dass diese Art „zivilen Ungehorsams“ selbstverstaendlich ist. Ich denke an Deutschland: Wuerde Radio Westfalica oder ka-news zu einem Streik aufrufen? Wuerden die Leute ihre Geschaefte schliessen, nicht zur Arbeit gehen, weil der Oberbuergermeister in irgendwelche krummen Geschaefte verwickelt ist?
Aber ok, ich merke, der Vergleich hinkt. In Deutschland funktioniert die Judikative um einiges besser als in Bolivien.
Zur Botschaft
Mit Kribbeln im Bauch mache ich mich auf den Weg zur US-Botschaft. Das Interview steht an. Obwohl nicht verlangt bringe ich trotzdem die Kopie eines Bankauszuges mit. Mit vielen anderen warte ich erst vor der Botschaft, dann in der Botschaft. Das Interview verlaeuft gut. Die Frau hinter dem Schalter ist aufrichtig begeistert von meiner Radtour. Sie tippt etwas in ihren Computer. Ihre Augen werden groesser, sie haelt sich die Hand vor den Mund, sagt: „Just one moment please.“ und geht. Oh, je!
Sie kommt wieder, drueckt mir einen Zettel in die Hand. Ich lese nur „negado“ und etwas von zusaetzlichem Aufwand der betrieben werden muss.
Ich habe so richtig schlechte Laune. Auf meine Tante will ich nicht hoeren, die sagt: „Nun warte doch erstmal ab.“ Fuer mich ist klar: Ich bekomme kein US-Visum, lasse mir irgendwelche Alternativplaene durch den Kopf gehen, mit denen ich mich nicht anfreunden kann.
Ich haette auf sie hoeren sollen…

There it is
And life inbetween

Going home

in a Restaurant

road construction

on the road

Student day in Azangaro

typical peruvian village

in a shop for Carneval

shop next to a grave

Rain is coming soon

cooking inside during rain outside

assembly

being invited for lunch

eating with fingers

master of knitting

bible in Aimara

first traditional peruvian woman on a bycicle

road under construction in Peru

petrol to sell

at the border Peru-Bolivia close to Copacabana

place to camp

toys for adults

with sheep and porks below me in the night

„Halte die Umwelt sauber“

Charlotte inside of Teleferico