„La Paz, La Paz, ich komme.“ Meine Vorfreude ist riesengross. Was man da alles kaufen kann…

La Paz
Es fehlen noch 300 Kilometer, auf denen man nahezu nichts kaufen kann. Denn weiter geht es durch die karge Schoenheit des chilenischen und bolivianischen Hochlandes.

Vulkan Parinakota
Zunaechst 100 km auf Asphalt, die bald sehr langweilig werden.

Boring
Der Vulkan Parinacota ist noch lange zu sehen. so schoen, gleichmaessig rund wie ein Bilderbuchvulkan. Vorbei an riesigen Herden von Alpacas und Lamas.

50 km away
Manchmal sehe ich Nandus, das Pendant zu den Emus in Australien, bzw. Straussen in Afrika. Vikunas kreuzen meinen Weg, deren Wolle die teuerste Wolle der Welt ist. Gefangenschaft wuerden sie nicht ueberleben. Nur alle zwei Jahre werden sie kurz eingefangen und geschoren, danach wieder freigelassen. Ihre Wolle ist so fein, dass sie nicht viel brauchen, um Temperaturen von unter -20Grad auszuhalten. Ein Schal aus Vikunawolle kostet leicht 5000 Euro, ein Mantel 25.000 Euro.
Kurz vor Chujlluta kommt mir ein altes Ehepaar auf der anderen Strassenseite entgegen. Es ist nicht nur der Alpacawollfaden, der die beiden verbindet und zu einer Einheit verschmelzen laesst. Es ist viel mehr, was ich zwischen ihnen fuehle, so stark. Die Frau mit ihren langen schwarzen Zoepfen entzupft ein verfilztes Alpaca-Wollknaeul und er dreht die entfilzte Wolle mit einer Spindel zu einem Faden. Das Gesehene erinnert mich an eine Szene mit meiner Oma und meinen Opa: wie sie haendchenhaltend die Strasse entlang zurueck zum Auto gingen. Langsam, sich gegenseitig stuetzend.
In Guacollo frage ich ob es hier ein Restaurant gaebe. Ich habe Hunger. Nein, gibt es nicht, ob ich Alpaca moege. Klar, und schon wurde mir ein kleiner Hocker hingestellt und ein Teller mit Reis und Fleisch in die Hand gedrueckt. Ich beisse ins Fleisch. Hmm, lecker. „Es corazon – es ist Herz“.
Guacollo ist ein vergleichsweise grosses Dorf, mit einer Dorfkirche und ca. 20 Haeusern. Einen Laden gibt es nicht. Ich frage wieviele Menschen hier wohnen. „Drei Familien.“
„und der Rest?“
„Der Rest wohnt in Arica und arbeitet dort.“
„Und wie oft kommen sie nach hause? Am Wochenende?“
„Nein, einmal im Jahr.“
Ich schlucke.
„Und ihr? Wollt ihr auch nach Arica ziehen?“
„Nein wir bleiben hier, wir haben hier unsere Alpacas.“
„Wieviele?“
„120“

Lamas or Alpacas?
Ich erzaehle ihnen, dass ich weiter nach La Paz moechte, und erfahre dass diese Familie aus zwei Kindern und dem Bruder(?) noch nie weiter als bis nach Arica (120km) und Visviri (25km) gekommen sind.
„Bolivien ist gefaehrlich“
„Ja, in den Staedten muss man aufpassen, wie in Mendoza oder Santiago de Chile.“
„Die Doerfer sind „tranquilo“ – ruhig.“
„Ja, wie ueberall.“
Ich verdruecke eineinhalb Alpacaherzen und einen Meter Alpacaduenndarm, dann bin ich satt. Ich bezahle und verabschiede mich.
In Visviri, der Grenzstadt finde ich tatsaechlich noch Brot. Etwas zu finden ist immer verbunden mit fragen, fragen, fragen. und irgendjemand weiss dann, welche Privatperson Mittagessen, Brot, Gemuese verkauft. Die sichtbaren Laeden verkaufen meistens nur Kaugummi, Kekse, Klopapier.

typisches Ladenangebot auf dem Altiplano
Meine Benzinflasche ist fast leer aber auch da habe ich Glueck. Die chilenische Gendarmeria an der Grenze hat noch einen Kanister aus dem sie mir ein wenig abfuellt, nachdem sie den Ausreisestempel in den Pass gedrueckt hat. Auf der anderen Strassenseite erhalte ich den bolivianischen Einreisestempel. In einem Container sitzt ein einzelner Beamter, der sich sichtbar gestoert fuehlt, weil ich ihn vom Ballerspiel auf dem Handy abhalte. Im Hintergrund laeuft der Fernseher, und ich stelle wieder fest: Ich liebe Bolivien. Es geht auch ohne dieses ganze uniformierte, strenge Gedoens, wie es die chilenischen Kollegen an den Tag legen.
Eineinhalb Tage geht es nur bergauf oder bergab. Wenn ich so etwas im Vorfeld weiss, ist es weniger anstrengend, weil ich mich seelisch drauf einstellen wuerde, aber so ueberraschend? Etwas genervt schiebe ich Charlotte den Huegel hoch.

ups and downs
Ich werde abgelenkt. Im Schatten eines Strassenschildes wartet eine Frau auf einen Bus nach La Paz. Wir halten ein kurzes Schwaetzchen. Woher? Wohin? Sie fragt mich, ob ich den Bus gesehen haette. Nein. Erst fast zwei Stunden spaeter wird mich der Bus ueberholen.
Ich ueberhole eine alte Frau, ihr Hund schwaenzelt mal vor mal hinter ihr herum. In ihren Armen Feuerholz. So wenig. Vielleicht fuer eine Viertelstunde. So muehsam geht sie langsam zurueck zu ihrem Haus, welches weit und breit das einzige in dieser Gegend ist. Ja, sie wohnt hier alleine, antwortet sie auf meine Frage. Ich muss schlucken und denke an den Luxus in Deutschland, wo ich einfach nur die Heizung aufdrehen muss, um es warm zu haben oder einfach nur einen Knopf am Herd drehen muss um kochen zu koennen.

The woman walking to her house
In Caquiaviri, ca. 100km vor La Paz, erfahre ich, dass am naechsten Tag autofreier Sonntag ist. La Paz ohne Autos: Das will ich mir nicht entgehen lassen. Ich springe spontan in den naechsten Minibus, Charlotte fachgerecht aufs Dach gepackt und fahre bis nach Viacha, 40 Kilometer vor La Paz. Es ruckelt, es staubt, es ist heiss. In Viacha ist Markt. Kein Durchkommen mit dem Rad. Auf dem Boden ausgebreitet finden sich Toepfe, Gemuese, Blumen, Kraeuter, Alpacaembrios, Federn. Selbstgestrickte Schals aus selbstgeschorener Alpacawolle. Dahinter sitzen die Frauen, warten nicht tatenlos auf Kundschaft. sondern stricken und haekeln, was das Zeug haelt. Kleine Kinderschuechen, Pullover, Schals, Handschuhe, Muetzen.
Ich kaufe einen Moehrensaft, wahrscheinlich mit unsauberen Wasser gemischt, und danach ist mir die ganze Nacht schlecht. Mit Bauchschmerzen steige ich am naechsten Morgen auf Charlotte und stelle fest, nicht nur in La Paz faehrt heute kein Auto sondern in ganz Bolivien, wie ich spaeter erfahren soll. Der Wahnsinn!

No trafic
Die Strassen sind voller Leben: Verkaufsstaende, fussballspielende Kinder, Erwachsene, auf Rollerblades, Fahrraedern, Rollern, zu Fuss. Ich muss hoellisch aufpassen, nichts ist vorhersehbar. Die Strasse gehoert an diesem Tag allen Menschen. Nicht nur den AutofahrerInnen. Wir strahlen und grinsen uns an. Auf der Autobahn fahre ich hinunter nach La Paz.

Reclaim the Autobahn
Auch hier kein Auto in Sicht. Sie parken nicht nur nicht am Strassenrand, sondern sind voellig verschwunden. Nirgends ein Auto oder ein Minivan und ich frage mich, wo sind diese ganzen Blechkisten, die am naechsten Tag wieder saemtliche Strassen zustopfen werden?
La Paz haelt, was ich mir von der Stadt versprochen habe. Es gibt Obst, Gemuese, guten, nein, sehr guten Cafe. Es gibt Torte, Kuchen, Chips, Bier, Wein. Ich finde einen Schneider, der den kaputten Reissverschluss meiner Windweste auswechselt und die vom Bomberohund kaputtgebissene Leggings wieder zusammennaeht. Und in La Paz wartet noch jemand auf mich: Pepa, meine liebe, liebe Freundin aus Buenos Aires.

reunited: Pepa and I
Life inbetween:
Cycling the „Ruta de los Muertos“
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Where to sleep tonight?
Plaza Murillo in La Paz with all the pigeons
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Pepa
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And more:

La Paz

Plaza Murillo

Something is wrong

Evo drugdealer

El Alto

Teleferico

Fitness during carfree day on the street

Having fun

garbage nearly everywhere

it does not help against the garbage everywhere

She allowed me to take a picture of her

door of a church

visiting me

drunken man

in Visviri

exact kilometers in Chile

so remote

fences made of rocks

a church
Und Bolivien zwei Monate spaeter?
Im Internet entdecke ich ein Foto, auf dem Polizisten in voller Montur brennende Holzscheite mit ihren Stiefeln beiseite schieben. Im Hintergrund die Fahrschule, die auf meinem taeglichen Weg zum Cafe liegt. Nach den Wahlen und der Flucht Evo Morales nach Mexico, ist alles anders.
Im argentinischen „linken“ Fernsehen werden die Demonstrationen und Streiks als „golpe de estado“ – als Staatsstreich betitelt. Ja, der konservative Praesidentenkandidad hat seine Anhaenger dazu aufgerufen, auf die Strasse zu gehen. Aber es gab auch, und das glaube ich, ist die Mehrheit, solche Menschen wie Max, ein Baecker aus Uyuni, der auf die Strasse gegangen ist, um fuer die Demokratie in seinem Land zu kaempfen. Eine Demokratie, welche Evo Morales waehrend des Referendums um seine dritte Amtszeit, bei den anschliessenden Wahlen, bei denen auch die Toten fuer ihn stimmten, und jetzt mit dem sehr wahrscheinlichen Wahlbetrug immer mehr aushoehlte.
Es gibt viele Parallelen zu Venezuela: Angefangen bei einem demokratisch gewaehlten Praesidenten, der erfolgreich die Armut im Land bekaempfte, sich dann immer mehr zu einem Autokraten entwickelte und es dann zum grossen Knall kam.
Einige, wie ich finde, gute Hintergrundartikel zu Bolivien und Parallelen zu Venezuela gibt es hier und hier.
Moege Bolivien die Kurve kriegen.