der fast normale Alltag

Flucht vor der Kaelte 
Asphaltgrau und Sandbraun. Das sind die vorherrschenden Farben Uyunis, dazu weht ein eisiger Wind. Der sonst hellblaue Himmel hinter einer Staub und Sandwolke versteckt. Die allerwenigsten Haeuser haben eine Heizung. Sie bleiben kalt. Die Menschen ziehen sich einfach warm an, lassen Jacke an, Muetze auf, Schal um, wenn sie ihr Haus betreten. Strom ist teuer in Bolivien. Darum gibt es nur vereinzelt Waermestrahler. Es gibt keine Oefen, womit sollten sie auch geheizt werden. Auf dieser Hoehe von 3700mNN wachsen keine Baeume. und die wenigen Alpacas und Ziegen hier, hinterlassen zu wenig um damit heizen zu koennen. Seit einer Woche friere ich fast ununterbrochen. Nur nachts nicht, wenn ich im Schlafsack liege, Muetze auf, Socken an, Handschuhe an.

Mit dem Bus fahre ich fuer einige Tage nach Sucre auf der Flucht vor der Kaelte. Das liegt 1000 Hoehenmeter tiefer und ist zehn Grad waermer. Ich finde ein sehr guenstiges Hotel, habe ein Badezimmer nur fuer mich und dusche zweimal am Tag so heiss, dass ich mich fast verbrenne. Charlotte bleibt in Uyuni.

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Sucre – the white city

Sucre, Hauptstadt von Bolivien, die weisse Stadt. Die weisse Stadt deshalb, weil in der Altstadt alle Haeuser weiss gekalkt sind. Eine Kirche reiht sich an die andere, ein Hostal ans andere. Touristen sehe ich trotzdem kaum. Vor dem Mercado Central, einer mehrstoeckigen Markthalle sitzen die Campesinas in ihren Roecken, einen Sonnenhut aus Stroh oder Filz auf dem Kopf, die langen schwarzen Haare zu zwei Zoepfen geflochten, ihr bunten Tuecher auf dem Boden ausgebreitet und verkaufen Blaetter, Kraeuter und Kaugummi. Gerne wuerde ich einmal ein Foto von einer dieser Frauen machen. Aber ich tue es nicht. Auf meine Frage nach Erlaubnis wuerden sie mit einem empoerten Nein reagieren. Fotos rauben die Seele. Das muss ich respektieren. 

Drei Tage bleibe ich in Sucre, kenne die Strassen rund um den Mercado Central auswendig. Meine Sehnsucht nach Charlotte waechst von Stunde zu Stunde. Ich will wieder zurueck auf den Sattel, will Abenteuer erleben. Will abends in meinem Zelt liegen, gluecklich ueber den erlebten Tag. Will den Stolz fuehlen, der mich erfuellt, wenn ich etwas geschafft habe, an dem ich zuvor gezweifelt habe. Will die heisse Cafetasse in der Eiseskaelte in den Haenden halten. Will mich an jedem einzelnen Schokoladenkeks erfreuen, den ich als Aperitif vor dem Abendessen zusammen mit einem heissen Matetee esse. Will sehen, wie die Sonne abends blutrot am Himmel verschwindet. Will wieder die Weite, die schneebedeckten Berge am Horizont erleben. 
Diesen materiellen Ueberfluss hier in Sucre nehme ich nach nur einem Tag wie selbstverstaendlich hin. Ich futtere die Schokoladenkekse, die ganze Packung, nicht aus Freude sondern aus Langeweile. 

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Was ich unterwegs nicht habe und nicht haben werde, kann ich hier dennoch grenzenlos geniessen: die frischgepressten Fruchtsaefte, die heissen Duschen, die leckeren Mokka- und Schokoladentorten.

Zurueck in die Kaelte
Zurueck in der Casa de Ciclista in Uyuni erwische ich mich dabei, wie ich Charlotte zaertlich ueber den Sattel streichle. Ja, sie ist mir das wertvollste hier. 

„Manana me voy“ – „Morgen haue ich ab.“ sage ich, selbst nicht so richtig dran glaubend. Und ich brauche tatsaechlich noch eine handvoll Tage, um mich wirklich von diesen lieben Menschen hier zu verabschieden. Wir haben zusammen Pedros Geburtstag gefeiert, Geschichten erzaehlt, gekocht, gelacht.

press on foto to enlarge                                Casa de cyclistas in Uyuni

Mit Traenen in den Augen sage ich Tschuess, und es braucht drei Strassenecken und 10 Kilometer um wieder nach vorne zu sehen. 

Ueber den Salar de Uyuni – diesmal alleine
Salz, soweit das Auge sieht, und noch weiter.

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Salar de Uyuni

110 Kilometer. Eine Entfernung von Bielefeld nach Hannover (fuer die Norddeutschen), bzw. von Lauterbourg nach Stuttgart (fuer die Sueddeutschen) auf reinem Salz, liegt vor mir. Dies hat nichts zu tun mit allem, was ich bisher erlebt habe. Es hat eigentlich ueberhaupt nichts zu tun mit diesem Planeten Erde. Ich bin auf einem anderen Stern. So surreal ist alles. 
Und es ist die Frage, wie lange es noch so bleiben wird. Ein riesiges Lithiumfeld wurde hier entdeckt und von Evo Morales, dem Praesidenten, zum Abbau in Zusammenarbeit mit einer deutschen Firma freigegeben worden.
Irgendwo in dieser Weite baue ich das Zelt auf und werde ruecksichtslos wieder zurueck auf die Erde und auf den Boden der Tatsachen katapultiert. Mein Kocher streikt. Ich verbrenne mir den Daumen am Feuerzeug bis es den Geist aufgibt. Meine Finger sind russbefleckt. Von mir fast unbemerkt faerbt die Sonne den Himmel erst blutrot, dann lilablau. Ein Flickenteppich aus Oktaeder legt sich ueber das Salz. Die Temperaturen sinken rasch von zweistelligen Plusgraden in den unteren einstelligen Minusgrad.

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It is getting cold

Ich gebe auf. Gebe mich mit einem Erdnussriegel und trockenem Brot zufrieden. Verkrieche mich in den Schlafsack und hoffe einzuschlafen, bevor die Kaelte von meinen in drei Paar dicken Wollsocken steckenden Zehen ganz den Koerper hochkriecht. Zwei Wollpullis, der dicke Schlafsack, Handschuhe, Muetze helfen nichts gegen die feuchte Kaelte die langsam von unten erst durch den Zeltboden, dann durch die Regenjacke, durch die  Isomatte und Daunenjacke zu mir in den Schlafsack kriecht. Diese Nacht wird eine lange Nacht. Das Thermometer zeigt -10 Grad im Zelt (und zwar deshalb, weil die Anzeige nur bis -10 Grad reicht!) Mit Sonnenaufgang steigen die Temperaturen so schnell, wie sie abends gesunken sind. Ich reinige den Kocher von grundauf und schliesse die fast leere Gaskartusche an, die ich seit zwei Monaten fuer den Notfall mit mir herumschleppe. Bevor er tatsaechlich brennt, schiessen zuvor noch einige Benzinfontaenen durch das Ventil. Aber er brennt und sehr erleichtert setze ich Cafewasser auf. 
Mir faellt meine Plastiktrinkflasche auf das Salz. Ein langer Riss durchzieht den Boden. Ich klebe Tape drueber, aber es hilft nichts. Die Flasche leckt. Ich habe nun einen Liter Volumen weniger. Das ist sehr aergerlich. Und dann steht da ploetzlich ein Sechserpack 1,5Literflaschen mitten auf dem Salar de Uyuni. Unberuehrt. Neu. Voll. Ich nehme mir unglaeubig eine der Flaschen.

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what a gift

60 Kilometer trennen mich von der Insel Incahuasi, die wie eine Oase inmitten der riesigen Salzflaeche herausragt. Mit dem taeglichen Touristenstrom, der in den hunderten Jeeps herangekarrt werden, komme ich an. 500 bis 700 Touristen besuchen jeden Tag die Insel, wie mir der Ticketverkaeufer Jaul erzaehlt.

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Hundreds of tourists on Isla Incahuasi

Er erteilt mir auch die Erlaubnis, auf der Insel mein Zelt aufzuschlagen. Denn ohne diese darf auf der Insel nicht uebernachtet werden. Die Nacht ist fast angenehm warm, nur knapp -8 Grad im Zelt. Die Wasserflaschen, umwickelt mit Klamotten, sind nur halb eingefroren.

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sleeping on Isla Incahuasi

Ich fahre noch einmal zum Hauptparkplatz um nach Wasser zu fragen, treffe dort auf ein Reisepaar aus Europa, die mit ihrem eigenen Jeep seit ueber einem Jahr unterwegs auf dem Weg nach Alaska sind. Sie geben mir nicht nur Wasser, sondern schenken mir auch ein Buch, ein noch ganz ungelesenes. Ich bin freudig ueberrascht und sie erklaeren, dass auch sie soviel geschenkt bekommen und jetzt auch einmal die Gelegenheit haben, zu schenken. Ja, es stimmt. Auch ich  bekomme viel geschenkt und freue mich, wenn ich schenken kann. 

Der letzte Tag und die letzte Nacht auf dem Salz.

press on foto to enlarge                                           life on the salar

Vor genau 20 Jahren, war ich schon einmal hier, wie die anderen Touristen mit einer Jeep-tour. Haette mir jemand gesagt, dass ich das naechste Mal mit meinem eigenen Fahrrad den Salar ueberqueren wuerde, so haette ich ihn nur unglaeubig angestarrt. 

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Last cold night on the Salar

Ich geniesse den letzten Abend, sehe der Sonne zu, wie sie langsam hinter dem Horizont verschwindet. Eingemummelt in alle Jacken und Pullover. Tiefe Dankbarkeit, hier sein zu „duerfen“, zu koennen, waermt mich von innen. Wie so oft in letzter Zeit sitze ich einfach nur da und erlebe Glueck, Dankbarkeit, Zufriedenheit in Reinform. 

Wieder festen Boden
Festen Boden unter den Fuessen bekomme ich wieder am 6.August, dem Unabhaengigkeitstag Boliviens. Ich hoere die Trompeten, Klarinetten und Trommeln schon von weitem. Etwas schief, aber mir gefaellts.

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Independence Day of Bolivia

Besoffene Bolivianer bieten mir ihre Freundschaft an und wollen mich umarmen. Ich strecke ihnen demonstrativ die Hand hin oder sage laut und bestimmt, hoerbar fuer alle: „No me toces! – Fass mich nicht an.“ und das wird dann auch sogleich befolgt. 
Alle SchuelerInnen dieses Dorfes stehen mehr oder weniger in Reih und Glied vor den Oberen, Offiziellen, Vertretern des Dorfes.

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the pupils

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the officials

Es gibt verschiedene Vorfuehrungen der SchuelerInnen. Eine ca. siebenjaehrige haelt eine Rede, auswendig, erzaehlt etwas von „mi patria, mi amor. – mein Heimatland, meine Liebe.“ Das ist fuer mich sehr befremdlich und ich frage mich, ob sie wirklich weiss, wovon sie redet. Naja, sie wahrscheinlich besser als ich. 

press on foto to enlarge                                     Independence day in Bolivia


Ich klappere die drei Laeden nach Moehren, Zwiebeln, Bananen oder Aepfeln ab. Erfolglos. Aber zumindest gibt es Brot (=flache Broetchen) und eine Packung Kekse.
Nach einer fettigen, leckeren Kartoffelsuppe und nach Ende der ganzen Auffuehrungen mache ich mich auf den Weg. Meine Nase laeuft wie ein tropfender Wasserhahn. Werde ich jetzt wieder krank? Ich hoffe nicht.

Wieder krank?
Ich finde Unterschlupf versteckt in einer der vielen Ruinen. Baue das Zelt auf, mache mir noch einen Tee und verkrieche mich ins Zelt. Und am naechsten Morgen bin ich tatsaechlich krank. 

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rest day hidden in ruins

Mir fehlt jegliche Energie, meine Nase laeuft und laeuft. Bis mittags liege ich im Zelt und ueberlege ob ich trotzdem weiterfahren soll. Die 12 Kilometer nach Salinas, einer groesseren Ortschaft mit Hostel. Aber ich weiss nicht, wie die Wegbeschaffenheit ist, ich weiss nicht ob es rauf und runter geht. Und dann ist es eh zu spaet, loszufahren. Ich mache Cafe, futtere die ganze Tuete suess-geroesteter Erdnuesse, die ich seit Ewigkeiten mit mir herumschleppe – fuer den Notfall. Dies ist ein Notfall, ein Extrem-Notfall, entscheide ich.

Ich schlafe ein, wache 12 Stunden spaeter wieder auf.
 „Was ist denn jetzt los?“ Die Nase frei, ich fuehle mich fit, kann es kaum glauben. 

Pause in Salinas
In Salinas an der Plaza finde ich, was ich erhoffte. Mittagessen. Es gibt weniger Restaurants als schon vorgekochtes Essen (Haehnchen oder Schaffleisch mit Kartoffeln, Reis und Nudeln, dazu ein paar Zwiebeln und eine scharfe Sosse) in grossen Toepfen, warmgehalten in Tuecher und Decken eingewickelt unter einer Plane auf einem Waegelchen. Daneben ein Plastiktisch und Plastikhoeckerchen aufgestellt. Ich geselle mich zu ein paar Muetterchen, die ihre Teller schon fast aufgegessen haben. Sie stellen mir neugierig Fragen, woher, wohin….Ein Mann gesellt sich dazu. Die Frauen fragen weiter:
– „No tienes miedo de los perros? – Hast du keine Angst vor den Hunden?“
Ich zeige auf einen der vielen herumstreundenden Hunde.
– „ No, son pequenitos. – Nee, die sind klein.“
– „Hablo de los perros con dos patas. – Ich spreche von den Hunden auf zwei Beinen.“
– „Ah, no, hay que tratarlos como perros con quadro patas. – Die muss man     behandeln, wie Hunde auf vier Beinen.“
Alle lachen, bis auf einen.

Ich finde ein sauberes geraeumiges Hostel, kann dort Charlotte und die Packtaschen vom Salz befreien. Sogar eine heisse Dusche gibt es. 

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Salinas

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My delicious dinner ( I don’t know what it was)

Ich bleibe zwei Naechte. Mein Zimmer bleibt auch tagsueber sehr kalt. Wasser gibt es erst ab Mittag, wenn die ueber Nacht zugefrorenen Leitungen wieder aufgetaut sind. Aber das ist hier der Normalfall. 
Ich fahre zur Tankstelle, kaufe Benzin. Das alte kippe ich in eine Plastikflasche und schenke sie dem Tankwart. Bete zu Gott, zu Pachamama, bitte meine liebe Oma im Himmel oder sonst wo um Hilfe. 
Drehe das Ventil auf, halte mein Feuerzeug dran.
Er brennt. 
Endlich brennt er wieder, mein Kocher. 

And life inbetween

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sticker on Isla Incahuasi

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Salar at night

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Sucre by night

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restaurant kitchen at Mercado Central in Sucre

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Pupils in Sucre

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New Life – a few minutes old

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