1. Tag (Campo Quijano – El Arlfarcito, 60km)
Eine kalte Dusche am Morgen, um mich an die bevorstehende Kaelte zu gewoehnen, noch schnell zum Kiosk, und dann gehts los. Ich bin aufgeregt, habe Angst, ja, ich habe Angst. Angst davor, nicht mit der Hoehe klarzukommen, Angst vor der Kaelte, Angst vor der Wahnsinnsanstrengung, die da vor mir liegt. Die ersten Kilometer uebertoent mein Herzklopfen alle anderen Geraeusche.
Ich beruhige mich ein wenig, fange an, die Landschaft aus ihren kunterbunten Felsformationen, den Kakteen, deren Stacheln im Gegenlicht der Sonne leuchten, zu geniessen.

cactus
Nach 62km erreiche ich Alfacito auf 2900mNN und darf mein Zelt in der Aussenbar des Restaurants aufstellen. Hier ist es einigermassen windgeschuetzt. Ich schlafe mit Kopfschmerzen ein.
2.Tag (El Arlfarcito – Tastil, 11km)
Anstelle des morgentlichen Cafes, mache ich mir zwei Tassen Koka-Tee. Die Koka-Blaetter habe ich mir schon in Salta gekauft.

cup of cocatea
Sie sind Allheilmittel gegen alles und so auch gegen die Socoche, wie hier die Hoehenkrankheit genannt wird. Heute ist der grosse Tag. Der erste Pass ueber 4000mNN erwartet mich in 40km. 1000 Hoehenmeter. In Tastil fuelle ich noch einmal meine Wasserflasche auf, fahre um die Kurve und komme kaum, bzw ueberhaupt nicht vorwaerts. Womit ich bei meinen ganzen Ueberlegungen, Bedenken, Vorbereitungen nicht gerechnet habe, ist der Wind, der mich mit patagonischer Staerke wie vor eine Wand fahren laesst. Nach zwei Kilometern gebe ich auf. Es hat keinen Sinn. Was nun? Soll ich trampen? Soll ich zurueck nach a. fahren und abwarten? Ich entscheide mich fuer die zweite Loesung. Mit 30km/h bin ich nach fuenf Minuten wieder dort, wo ich eine halbe Stunde zuvor gestartet bin. Der aufgekommene Gedanke des Scheiterns ist schnell vom Winde verweht. Abends baue ich mein Zelt im Windschatten der Kirche auf. Zum Glueck sind die Kopfschmerzen verschwunden. Es ist vielleicht auch gut, noch einen Tag auf 3100mNN zu bleiben um sich an die Hoehe zu gewoehnen. Abends strolche ich noch einmal durch das kleine Dorf und waerme mich am Feuer des tagsueber vom Wind umgefallenen und nun verbrennenden Baumes.

Tastil
Die offene Tuer eines der kleinen Haeuser, durch die staendig Leute ein und ausgehen, weckt meine Neugierde. Ich trete ein. Hier wird Chorizo gemacht. Wurst aus Rinderfleisch. Auf dem Tisch daneben tuermen sich Fleisch und Knochen.

ingredients of chorizo

producing chorizo
Am Haken an der Wand haengen ganze Tierhaelften. Leute kommen, sagen Hallo und gehen wieder. Wieder einmal bin ich froh ueber mein spanisch, welches mir tatsaechlich Tuer und Tor oeffnet. Ich kann meine Neugierde ausdruecken, worueber sich mein Gegenueber sichtlich freut und mir bereitwillig Auskunft gibt. Ich wuensche eine Gute Nacht und ziehe mich ins Zelt zurueck.

sleeping in the windshild of a church
Mein letzter Gedanke gilt dem Wind: Hoffentlich ist er morgen schwaecher. Wenn nicht, werde ich trampen.
3.Tag (Tastil – +30km, Ruinas)
Ja, der Wind ist schwaecher. Was fuer ein Glueck. Nur 30km zum Pass. Auch wenn der Wind staerker werden sollte, ich wuerde es heute schaffen. Ich bin ueberrascht, wie leicht mir das Fahren in der Hoehe faellt. Der Wind nimmt zu, aber ich komme trotzdem gut vorwaerts.

up to Abra Blanca
Und dann geht mir ploetzlich die Luft aus. Noch 200 Hoehenmeter zum Pass fehlen. Meine Fresse, ist das anstrengend. Ich fahre 50 bis 100 Meter, halte an, atme ein paar Mal tief durch, trinke kalten Kokatee und weiter gehts. Langsam, ganz langsam. Und dann bin ich ploetzlich oben auf dem Pass. In 4080 m Hoehe.

the first pass
Wow. Ich habe es geschafft. Ich bin stolz auf mich. Die erste Huerde ist ueberwunden. Der Wind knallt mir um die Ohren, als ich um die Ecke schiele und auf der anderen Seite des Passes auf eine weite Ebene hinunterblicke. Egal. Erstmal Mittagessen. Eingemummelt in mein Regenzeug finde ich eine einigermassen windgeschuetzte Ecke und verdruecke eine Packung Kekse mit Schmierkaese. Jetzt bloss nicht das Passfoto vergessen. Ich habe Angst, dass der Wind die Kamera umwirft, aber alles geht gut. Zum Glueck geht es relativ steil bergab. Das macht das Ganze weniger anstrengend. Ich bin uebergluecklich, als ich die Ruinen an der Strasse entdecke, die sich als sauberer, windgeschuetzter Schlafplatz entpuppen. Es ist gerade erst halb fuenf, aber es reicht fuer heute. Noch fast drei Stunden Sonnenlicht, gemuetlich Feierabend machen, kochen, ausruhen. Ich bin zufrieden. Es gibt einen ganzen Topf voll Reis. Das Wasser braucht auf dieser Hoehe, knapp 4000mNN, eine Ewigkeit.

sleeping in ruinas
Es ist schon dunkel, als mich das nicht leiserwerdende Motorengeraeusch eines Lastwagens aufhorchen laesst. Verdammt, wieso faehrt der nicht weiter. Nein. Es sind zwei Lastwagen. Ich habe mich auf eine ruhige, entspannte Nacht gefreut. Warum muessen die gerade hier anhalten. Jetzt macht der eine sogar seinen Motor aus. Ich beobachte sie. Eine Taschenlampe leuchtet auf. Irgendetwas scheint nicht in Ordnung zu sein. Der eine Lastwagen faehrt ploetzlich weiter. Und dann, kurze Zeit spaeter, startet auch der andere seinen Motor, macht das Licht an, und setzt sich langsam in Bewegung. Uff!! Schwein gehabt. Ich bin erleichtert.
Mit saemtlichen Batterien und Akkus in einer Tuete am kaeltegeschuetzten Fussende meines Schlafsackes schlafe ich ein. Wollhandschuhe, Wollsocken an, Muetze auf, eingemummelt liege ich in meinem Schlafsack, bereit fuer die Kaelte, die nicht kommt. Ich wache auf, weil ich schwitze.
Und ich habe Kopfschmerzen und ein wenig Blut in der Nase. Nein, so gut bekommt mir die Hoehe nicht. Ich suche die Cortisontabletten, die mir eine Freundin fuer eben diesen Fall mitgegeben hat und finde sie nicht. Oh, Mann. Wo sind diese bloeden Tabletten. Ich stelle mir vor, wie ich hier sterbe, wie mich niemand findet. Ich trinke den Rest Kokatee, fast einen Liter.
4.Tag (Ruinas – San Antonio de los Cobres, 20km)
In Boehen weht der Wind durch alle Fenster und Tueren in meine gestern noch so ruhige Niesche. Ich lasse mir Zeit mit Fruehstuecken, Aufraeumen, Packen, denn heute sind es nur 20 km bis nach San Antonio de los Cobres. Ich brauche nahezu vier Stunden. Mit fast 100km/h kommt der Wind in Boehen mal von vorne, mal schraeg von der Seite.

San Antonio de los Cobres
Von der Landschaft bekomme ich nicht viel mit. Zu sehr muss ich mich darauf konzentrieren, nicht vom Fahrrad zu fallen. Die Schwimmnudel knicke ich ein, um den Windwiderstand ein kleines bisschen zu verringern. Hier brauche ich sie auch nicht. Ganze zwei Autos ueberholen mich in sicherem Abstand. In San Antonio de los Cobres ist meine erste Anlaufstelle die Bomberos. Ich treffe auf einen der Bomberos und auf einen Bombero-Hund. Nach anfaenglichem Bellen geht dieser Hund ploetzlich auf mich los. Ich trete nach ihm. Er schnappt erfolgreich nach meiner Wade. Die Legging reisst auf, der Reissverschluss am Fussende ist kaputt und ich habe eine leichte Hautabschluerfung. Nichts schlimmes, aber das war dann erstmal zu viel. Ich kann meine Traenen nicht zurueckhalten.
Die Bomberos haben eine grosse Halle, mit sandigem Boden, die Fensteroeffnungen mit Wellblech notduerftig zugepappt, und hier kann ich mein Zelt aufstellen.

Bomberos
Ich parke Charlotte zwischen den Autos und mache mich auf die Suche nach Wifi um die wichtigste Frage zu klaeren. Was sagt der Wetterbericht? Es soll noch schlimmer werden mit dem Wind am naechsten Tag. Dann zwei Tage weniger, dann wieder mehr. OK, ich werde einen Tag hier bleiben, den Wind abwarten und dann weiterfahren. Ich mache mich auf die Suche nach einem Hostel fuer die zweite Nacht. Ich brauche eine warme Dusche, ein Bett, einen Ort, an dem ich einfach mal entspannen, wieder runterkommen kann. Ich finde ein Hostel, welches ich zwar nicht mit Karte bezahlen kann, aber der Besitzer akzeptiert auch Dollar. Ich habe nur noch wenige Pesos, gerade genug um noch Lebensmittel kaufen zu koennen. Eine Nacht werde ich noch Wind und Staub in der Halle der Bomberos aushalten und dann werde ich ins Hostel umziehen. Puenktlich um 13:00 Uhr werde ich auf der Matte stehen, um jede Minute zu geniessen.
Der Wind weht durch die Luecken der Fensteroeffnungen. Das Wellblech klappert, scheppert, knallt. Sand und Staub wehen ins Innenzelt. Mit Vorfreude auf ein Bett fuer die naechste Nacht schlafe ich ein – ohne Kopfschmerzen.
5.Tag (San Antonio de los Cobres)
Der Wind hat ueber Nacht eines der Wellbleche vor dem Fenster weggepustet. Das habe ich befuerchtet, aber meine Vorstellung, das Wellblech wuerde auf mein Zelt fliegen, hat sich zum Glueck nicht bewahrheitet. Ich packe ein, bedanke mich beim Bombero und ziehe los zum Einkaufen. Nach drei Laeden habe ich, was ich brauche. Der letzte nimmt sogar meine Kreditkarte und so decke ich mich noch mit Chips und Keksen ein. Und wie geplant, stehe ich um 13:00 Uhr auf der Matte des Hostels. Ich bekomme das schoenste Zimmer, mit grossem Fenster. Dusche und schmeisse mich aufs Bett. Kurz muss ich noch raus zur Tankstelle um zu fragen, ob sie auch morgen, am Sonntag, auf hat. Zurueck im Bett schreibe ich an diesem Text, koche, dusche noch einmal, gucke einen Film, futtere Chips und geniesse einfach dieses Zimmer mit seinem Luxus an Strom und heisser Dusche mit ausreichendem Wasserdruck. Der Wind da draussen pfeift um das Fenster herum, aber das ist mir voellig egal. Im Gegenteil, er macht dieses Zimmer umso gemuetlicher.
6.Tag (San Antonio de los Cobres – +40km, Shelter)
Der Wind ist, wie vorrausgesagt, erheblich schwaecher. Mit fast 15 km/h verlasse ich San Antonio de los Cobres. Guter Dinge. Der Schotter ist nicht allzu schlecht, ich komme gut vorwaerts, bis, ja bis es spaeter wird und der Wind mir wieder mit patagonischer Staerke um die Ohren pfeift. In Serpentinen geht es hoch.

up to Alto Chorillo
In die eine Richtung kann ich Charlotte nur mit allergroesster Kraftanstrengung vorwaerts schieben, und kaum bin ich um die Kurve, die ich meistere, ohne umgeweht zu werden, setze ich mich auf Charlotte und lasse mich bis zur naechsten Kurve hochtragen. Dann hoert es auf mit den Serpentinen und der Wind weht nur noch von vorne. Ich kaempfe mich 20 Meter vorwaerts, muss anhalten, ein paarmal tief Luft holen, mittlerweile bin ich auf 4300mNN und dann geht es weiter, die naechsten 20-30 Meter. Ich bin weit ausserhalb meiner Komfortzone. Und dann sehe ich es, noch in der Ferne: Das Gipelschild, endlich. Alles bricht aus mir heraus. Freude, Glueck, totale Erschoepfung. Ich lehne mich ueber den Sattel und muss erstmal eine Runde weinen. Gleich habe ich es geschafft. Ich bin so unheimlich stolz.

the second pass
Und dann liegen noch 10 weitere Kilometer vor mir bis zu einem in der Karte eingezeichneten Shelter, wie immer er auch sein mag. Eine Huette, verschlossen, mit viel Muell, Knochen, Ziegenkacke und Glasscherben drum herum. Egal.

frozen water
Ich fege die Ziegenkacke weg und baue das Zelt auf der windgeschuetzten Seite der Huette auf. Mittlerweile ist es dunkel, als ich zu kochen anfange. Hundemuede aber uebergluecklich verkrieche ich mich in den Schlafsack.
7.Tag (Shelter – Cauchari, 30km)
Frueh bin ich auf dem Fahrrad. Ich merke die Anstrengung des gestrigen Tages, bin erschoepft, aber klar, ich muss ja weiter. Auf uebelster Schotterpiste geht es Richtung Olacapato, Stellenweise schiebe ich durch den tiefen Sand.

Not only me is pushing
Ich komme wieder einmal kaum vorwaerts. Der Wind. Ach was waere dieser Paso de Sico doch fuer eine gemuetliche Spazierfahrt, wenn ich ihn andersherum fahren wuerde. Von Chile nach Argentinien. Aber nein.
In Olacapato halte ich nur kurz, um Wasser aufzufuellen, fahre und schiebe noch weitere acht Kilometer zum naechsten Shelter und finde mehrere verlassene und schon verfallene Lehmhaeuser. Im besten niste ich mich ein.

sleeping in ruinas again
Mit Keksen und Kokatee lasse ich es mir gut gehen und bin noch wach genug, einen Film bis zu seinem Ende zu sehen. Diese Ablenkung tut gut. Sie laesst mich vergessen, wo ich bin, was da noch vor mir liegt. Laesst mich meine Erschoepfung vergessen, den ganzen Staub, den Sand, den Wind.
8.Tag (Cauchari – Catua, 0 km)
Ich nehme mir vor, heute nach Katua oder sogar bis zur Grenze zu trampen. Der Wind ist viel staerker als gestern, unmoeglich zu fahren. Bis Katua sind es 40km durch Sand und Wellblech. Dafuer fehlt mir die Kraft. Im Windschatten der Ruine warte ich, springe auf, wenn sich ein Auto, welches sich schon weit vorher durch seine Staubfahne ankuendigt, naehert. Alle Autos, alle LKWs, die ich anhalte fahren lediglich zur naechsten Miene. Die Berge um mich herum verschwinden langsam hinter einer Dunst- und Staubwolke. Es ist schon drei Uhr und ich bin am verzweifeln, ueberlege mir Alternativen: Zurueck nach Salta, mit dem Bus ueber den Paso de Jama nach Chile,
Ich bin kurz davor, tatsaechlich in ein Auto Richtung Salta zu springen. Lasse es in letzter Minute sein. Ich will mir und dem Paso de Sico noch eine Chance geben. Dann haelt ein weiteres Auto, zwei Touristen auf dem Weg ueber den Paso de Jama nach Chile. Auch hier sage ich nein. Und eine Minute spaeter aergere ich mich wahnsinnig darueber. Das waere meine Chance gewesen, hier wegzukommen. So einfach, oh, man, wie daemlich. Es wird immer spaeter und als ich dann noch erfahre, dass der Paso de Sico geschlossen ist, bin ich voellig ratlos. Und jetzt???
Ein weiteres Auto kommt, und als der Fahrer sagt, er fahre nach Katua, kann ich es kaum glauben. Das Auto, ein Kombi, ist voll mit Lebensmitteln. Aber es muss gehen. Ich ueberrede den Fahrer, es zumindest auszuprobieren. Und ja, Charlotte auf das Dach, die Taschen noch hinten reingequetscht, und dann geht es zu dritt vorne auf den zwei Sitzen nach Katua. Vater und Sohn. Sohn faehrt. Er sieht aus wie 16. Aber nein. Er ist 18. Sie betreiben einen Lebensmittelladen in Katua. Die ganzen Lebensmittel sind der Nachschub. Es daemmert als wir ankommen. Dem Vater gebe ich neun Dollar Trinkgeld, auch weil er zuvor nach „Propina“ gefragt hat. Ich weiss, dass es hier eine vom Ort betriebene Hospedaje gibt. Jetzt muss ich nur noch diejenige finden, die den Schluessel hat. Ich klopfe einfach an irgendein Fenster, erklaere die Sache mit dem Schluessel, und werde ersteinmal hereingebeten. Bekomme eine heisse Tasse Tee. Oh, man, tut das gut.
Ich versuche mich zu unterhalten, aber ausser ein paar Woertern verstehe ich diese Sprache hier nicht. Ich vermute ein Quetchua-Spanisch gemixe und frage nach. Nein. Sie sprechen Spanisch. „Ach, so.“
Ich komme in einer anderen Hospedaje unter, im Nachbarhaus. Kann mir noch drei Naechte leisten. Dann habe ich noch 75 Pesos. 1,50 Euro. Vielleicht kann ich in Euro oder Dollar bezahlen, wenn ich noch lange warten muss. Fuer 23 Pesos, kaufe ich Spaghetti und einen Apfel. Ich muss haushalten mit dem wenigen Geld, das ich noch habe. Hoffentlich macht der Pass bald wieder auf. Mein Visum laeuft in knapp einer Woche aus. Ich sitze hier fest. Zehn Kilometer vor der Grenze.

al culo – im Arsch
9.Tag (Catua)
Pause.
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10. Tag (Catua – Jama)
Der Pass de Sico ist geschlossen, noch immer. Ich bin enttaeuscht. Das wars. Ich packe meine Sachen. Bin startbereit fuer die 40 Kilometer lange Schotterpiste zum offenen Paso Jama. Aber wo ist mein roter Buff? Scheisse. Ich muss los. Es ist schon fast 12:00 Uhr, und ich habe 40km Schotter vor mir. Alles wieder ausgepackt, und dann ganz unten (natuerlich) in einer der Taschen, finde ich ihn.
Der Weg ist ueberraschend gut. Wind kommt auf. Nein. Nicht schon wieder. Ich ueberpruefe aus welcher Richtung er weht und kann es kaum fassen: Rueckenwind.

Tailwind and great landscape
Es geht hoch. Wieder auf ueber 4300mNN. Ich brauche viele Pausen, Atempausen, Fotografierpausen, Trinkpausen. Meine Kraefte schwinden. Der Helm auf meinem Kopf wiegt ploetzlich zwei Kilo. Normalerweise spuere ich ihn kaum, vergesse manchmal sogar, ihn abzunehmen. Er wird immer schwerer.
Ein Auto haelt neben mir. Die Insassen geben mir eine Flasche Wasser: „todo bien?“ Nein, nichts ist gut. Ich laechele: „si, todo bien.“ Sie fahren weiter um kurz darauf wieder anzuhalten, im Rueckwaertsgang zurueckzurollen, und mir eine weitere Flasche anzubieten. Diese Geste gibt mir wieder Kraft. Das Gefuehl, nicht alleine zu sein, sondern von Menschen umgeben, denen ich nicht egal bin.

up to the pass
Der Pass liegt auf 4520mNN. Ich bin stolz auf mich. Stolz darauf, der Versuchung widerstanden zu haben, den Daumen herauszustrecken, und es stattdessen aus eigener Kraft auf den Pass hinauf geschafft zu haben.
Freud und Leid liegen auf dieser Hoehe dicht bei einander. So extrem wie die Hoehe ist, so extrem sind meine Gefuehlsschwankungen. Ich bin kurz davor zu weinen, weil es so anstrengend ist, und dann weine ich tatsaechlich vor Freude, oben auf dem Pass.
Es geht bergab. 600 Hoehenmeter. Mit durchschnittlich 8 km/h rolle ich durch den Sand ueber das Wellblech.

finally downhill
An der Hauptstrasse zum Paso de Jama habe ich ein Riesenglueck, muss nur wenige Minuten auf einen Pickup Richtung Pass warten.

hitchhiking to Jama
Jama ist ein kleines Dorf. Lehmhaeuser, staubige Strassen, und eine riesige moderne YPF-Tankstelle, die weiss aus dem ganzen Braun der Haeuser und Strassen heraussticht. Ich goenne mir ein Hostelzimmer. Die heisse Dusche befreit mich nicht nur vom Staub, sondern auch von meiner totalen Erschoepftheit. Muedigkeit und Lethargie verschwinden im Abfluss.
11.Tag (Jama – San Pedro de Atacames)
„Der Paso de Sico ist offen.“ Ich sitze hier am Paso de Jama in dieser feinen Tankstelle, halte mich am Cappucchino fest, den ich mit Karte bezahlen kann. Ich starre auf den Bildschirm meines Laptops und kann es nicht fassen. Oh haette ich doch nur einen Tag gewartet in Catua. Ich haette es so viel einfacher gehabt, landschaftlich so viel atemberaubender. Mich haette ein Abendessen, ein warmes Bett bei einer Miene erwartet. Ich haette nur noch 20 km Schotterpiste vor mir gehabt, statt 40 km. Ich haette mich nur noch auf 4430mNN Meter hochkaempfen muessen, statt auf 4520mNN, und ich haette sagen koennen: „Ich bin den Paso de Sico gefahren.“
Soll ich zuruecktrampen? Aber am gestrigen Tag ist mir nur ein Auto entgegengekommen. Die Wahrscheinlichkeit also, erfolgreich zu trampen liegt nahezu bei Null. Ich entscheide mich dagegen. So ein Mist. Wieder kommen mir Traenen in die Augen. Aber es gibt Schlimmeres, viel schlimmeres. Es ist gerade ein Luxusproblemchen. Klar bin ich enttaeuscht. Aber so ist es eben. Egal.
Die Grenzformalitaeten sind schnell gemacht. Ade Argentinien, welches du mir so eine wunderbare Zeit beschert hast.

waiting for a car at the Border
Nach fuenf Stunden Warten an der Grenze, die ich hauptsaechlich mit Kopfrechnen verbringe, finde ich endlich ein Auto, welches mich mitnimmt. Mir fehlt die Kraft, die fehlenden 150 km nach San Pedro de Atacames auf dem Rad zurueckzulegen. Ich lasse mich bis kurz hinter der hoechsten Stelle des Paso de Jama fahren und steige aus.

hitchhiking
Es geht nur noch bergab. Das lasse ich mir nicht nehmen. 2000 Meter hinunter. 30 Kilometer. Was fuer ein Spass, Durchchnittsgeschwindigkeit: 44 km/h.
Ploetzlich nimmt meine Nase wieder Gerueche auf. Ich komme mir vor wie ein Hund mit seiner Hundenase. Es riecht nach Abgasen, Blumen, Lamakacke, Hundepisse. So intensiv, so stark.
Als es unten in San Pedro ein kurzes Stueckchen bergauf geht, fahre ich im achten Gang hoch. Wie stark bin ich auf einmal. Zugedopt mit Sauerstoff. Es ist dunkel, als ich in der Casa del Sol Naciente ankomme. Und was fuer eine Freude, als ich Melanie und Flavio dort auf der Couch herumfletzen sehe. Ich traf sie vor drei Wochen in Cafayate.

Melanie und Flavio
Sie sind den ganzen Paso de Jama gefahren. Gegen den Wind. Zweistellige Minusgrade in der Nacht, einstellige Minusgrade tagsueber. Traenen, Geschrei, hilflose Wut und am Ende der Stolz, es geschafft zu haben. Seit drei Tagen liegen sie auf dieser Couch, ruhen sich aus. Und auch ich werde mich die naechsten Tage nicht bewegen, werde einfach nichts tun.

doing NOTHING
Wenn mein Magen sich meldet, werde ich mich aufraffen, ihn zu fuellen. und wenn mich der Schlaf uebermannt, werde ich die 15 Meter zum Zelt gehen und mich schlafen legen.

I did not need it
Liebe Heike,
komplett eingesaugt hast du uns mit deinem Bericht über die uns so vertraute Landschaft im Norden zwischen Argentinien und Chile! Wenn wir lesen wie du das alles erlebt hast, dann war unser kleiner Radelausflug über den Pass und die Buckelpisten zwischen Cachi und Cafayate ein Spaziergang mit Sahnetorte. Wir sind schwer beeindruckt von deinem Mut, deinem Durchhaltevermögen und deiner Kraft es irgendwie positiv zu sehen, wenn scheinbar alles gegen dich ist! Wir denken oft an dich und fiebern mit auf deinem weiteren Weg bis nach Alaska. Lass uns weiter daran teilhaben! Ganz liebe Grüße aus Darmstadt von Eike und Marisa.
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Wahnsinn was Du da gemacht hast. Nimm diese Erfahrung mit, klauen kann sie Dir ohnehin keiner mehr.
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