Perus Great Divide

Gibt es in meinem bisherigen Radfahrerinnenleben eine so unvorstellbar schöne und zugleich so anstrengende Route wie diese mit dem Namen „Perus Great Divide“?

Nein.

Ich sitze hier bequem unter dem Bambusdach der Küche auf einem Campingplatz in Vilcabamba, Ecuador, den Laptop vor mir auf dem Tisch. Unvorstellbar und so weit weg von dieser verschlafenen Idylle, sind die vergangenen Wochen. Tränenvolle Freud und atemloses Leid lagen nirgends so eng beieinander wie auf dieser Strecke zwischen Huavancelica und Huaraz. Jeder Tag war einzigartig. Fast jeden Tag ging es auf über 4700 mNN hoch. Der höchste Pass war 4916m hoch. 

Habe ich in meinem letzten Blogeintrag noch darüber geschrieben, wie verkehrt ich mich in diesen Höhen fühlte, so hat sich dies ins Gegenteil umgeschlagen. Ich liebte diese Höhen, ich fühlte mich wohl und wie zuhause dort. Weil sie meinem Lebensgefühl entspricht. Es gibt in diesen Höhen nicht viel. Ein paar harte, trockene Gräser, ein paar Büsche, Blüten, die ohne Stengel aus der Erde wachsen, Steine, Felsen, Lagunen und Wasserfälle. Das wars. Diese übersichtliche Schlichtheit entspricht meinem Leben. „Simplify your Life“. Nicht viel besitzen, nur das nötigste. Alles andere ist Ballast. 

Ich machte keine Pläne, setzte mir keine Tagesziele, denn nichts war vorhersehbar. Werde ich den Pass hochschieben müssen, oder lässt die Steigung ein Fahren zu? Von woher kommt der Wind, wird er mir wohlgesonnen sein oder lacht er mir ins Gesicht? Werde ich über faustgrosse Steine stolpern oder auf asphaltglatter Piste rollen? 

Mehr als 25-30 Kilometer am Tag waren nicht drin. 

Fast jeden Tag kamen mir andere RadlerInnen entgegen, jünger und leichter bepackt, die heute noch den nächsten Ort in 50km erreichen wollten. Eine Ausnahme bildete Fujimoto aus Japan, den ich noch sehr am Anfang traf. Sein Rad war schwerer als meines, viel schwerer. Er war mir eine grosse mentale Stütze, denn immer, wenn ich dachte, „ich schaff das nicht“, dann erinnerte ich mich an sein schweres Rad, und was er schafft, schaffe ich auch. Fujimoto war auch der einzige Alleinradelnde, den ich traf. Alle anderen waren mindestens zu zweit. 

Ich bin mir nicht sicher, ob ich lieber zu zweit gefahren wäre. Mental hätte ich meine körperlichen Grenzen mit Sicherheit mehr ausdehnen können. Wir hätten uns gegenseitig puschen können. Aber wozu? Um schneller zu sein? Dann hätte ich weniger Zeit und weniger Muße gehabt.

Ich bin in dieser völligen Einsamkeit, dem Himmel so nah und der vertrauten Erde so fern, an meine mentalen Grenzen gekommen, und das wäre ich nicht zu zweit. Da wäre ich abgelenkt worden. Und doch gilt das Sprichwort: „Geteilte Freude ist doppelte Freude.“ Gerne hätte ich in so vielen Momenten jemanden an meiner Seite gehabt. 

Es ging mir nicht darum, Kilometer zu machen, rumzuhetzen, sondern den Augenblick in seiner durchdringenden Klarheit zu erleben, im Positiven, wie im Negativen. Und das ging am besten alleine, nur mit mir.

Ob ich Perus Great Divide noch einmal fahren würde? – Nein. 

Denn die Kraft für die nächste Kurve, nahm ich aus der wartenden Überraschung hinter der Kurve. Und jede Kurve offenbarte etwas neues. Sei es der Blick in ein Tal hinab, sei es der Blick auf schneebedeckte Berge hinauf, seien es Vikuñas, Alpakas, Schafe oder Esel, die zunächst erschreckt aufblickten und dann friedlich weitergrasten. Sei es eine Wasserquelle bei der ich die Flaschen auffüllen konnte. Sei es der Wind, der mir plötzlich entgegenschlug, oder ein Auto, welches aus dem Nichts auftauchte.

Menschen leben hier. In Häusern aus Stein mit kleinen Fenstern und einem Dach aus Wellblech, einem Zaun aus Stein drum herum, bewacht und beschützt von mindestens zwei Hunden.

Ohne Strom, ohne Handyempfang und ohne Wasserhahn. Gekocht wird mit getrockneten Hinterlassenschaften der Tiere von denen sie leben. Ich habe nur alte Menschen gesehen. Die jungen sind in die Stadt gezogen. In jedem Dorf gibt es mindestens ein Schulgebäude und manchmal wird darin auch noch gelehrt. 

Mein Ehrgeiz, einmal mit Charlotte auf über 5000 mNN zu sein, hat sich nicht erfüllt. Den Wunsch, mein Zelt einmal auf über 4800mNN aufzubauen, habe ich in die Tat umgesetzt. Richtig schlafen konnte ich nicht, – egal. Ich war glücklich. 

Schlafen auf 4835mNN. Etwas frisch am Morgen

In Huaraz machte ich fast zwei Wochen Pause.

Ich hatte ein Ziel: All die Kilo, die ich auf dem Perus Great Divide gelassen hatte, wieder zuzunehmen.

Im Hostal El Tambo traf ich auf all die Radfahrer, die den PGD noch vor sich hatten, die sich zusammenschlossen um gemeinsam loszufahren. Ich traf auf Julia, die ebenso wie ich alleineradelnd unterwegs war, und die von einem Hundebiss neun Wochen lang ausgebremst war. Kein Wunder: Das Foto, welches sie mir von der frischen Bisswunde zeigte, sah aus wie der Screenshot aus einem Zombifilm. 

Ich hatte weder Energie noch Lust für eine Wanderung im Huascaran-Nationalpark, dem weltweit vielleicht schönsten Wanderparadies auf Erden. Ich liess mich auf den Huascaran-Loop ein. Eine 230 km lange Strecke durch den Nationalpark. Das schönste, was sie je erlebt haben, wie einige Radler mir vorschwärmten. Und ja, es war wirklich einzigartig.

Die Entenschlucht war der letzte Höhepunkt meiner fast viermonatigen Perureise. Durch über 30 Tunnel ging es nach Chuquicara.

Und als ich dort an der Kreuzung vor der Wahl stand, weiter nach Cajamarca zu radeln und mein Visum für eine weitere Woche zu überziehen, oder an die Küste nach Chimbote mit dem Bus zu fahren, entschied ich mich für die Küste, für laute, hässliche Städte und für gute, schnelle Busverbindungen Richtung Grenze.

Es war Zeit für ein neues Land.

Zwischen den Zeilen

Schulmeisterschaften in Tanta auf 4300mNN

mit einem Schaf als Siegestrophäe

und eine wunderbare Familie in deren Restaurant ich dort schlafen durfte:

Autowerkstatt in Huaraz

Wunderschönes Yanama

Innenräume und Aussenräume

3 Gedanken zu “Perus Great Divide

  1. Hallo Heike, lese immer wieder gerne deine Reiseberichte. Im Moment über Chile. Vieles ist unvorstellbar aber abenteuerlich schön

    Weiss nicht ob du dich noch an uns, Patricia und Engelbert erinnerst. Wir sind uns 2020 in der Atacama kurz vor Corona kurz begegnet.

    Wir verfolgen deine Reisen mit Interesse. Deine Leidenschaft hat uns angesteckt und wir haben in Europa schon einige Radreisen gemacht. Im Mai von der Mosel über 9 Länder durch den Balkan nach Athen/Patras. 3600 km. Wir haben diese Reisen lieben gelernt. Dank deiner Inspiration und Leidenschaft.

    Dirxwünschenvwircalkes Gute auf deinen Reisen und viel Gesundheit.

    Liebe Grüße

    Patricia und Engelbert

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    • Hallo ihr beiden, klar erinnere ich mich.
      Ich freue mich sehr, daß ihr das radreisen für euch entdeckt habt, und ich dazu beitragen konnte. Ich wünsche euch noch viele wunderbare Touren auf dem Sattel. Wer weiss, vielleicht kreuzen sich unsere Wege noch einmal. Man sieht sich immer 2 mal im leben…

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