Ab in die Wüste

Der Truthahn ist im Ofen.

Heute ist Thanksgiving, der wichtigste Tag des Jahres im Leben eines Amerikaners. Noch wichtiger als Weihnachten. Und ich darf ihn zusammen mit Kelly und ihrem Sohn Casey in ihrem Haus in Murrieta verbringen. 120 km nördlich von San Diego.

Kelly kocht und kocht und brät, seit Stunden, seit Tagen. Wir sind zu dritt und Kelly kocht für mindestens zehn.

Kelly habe ich einige Wochen zuvor bei Page in Arizona kennengelernt. Ich habe sie auf einem Parkplatz angesprochen, ob sie mich mitnehmen könnte, ich wollte zu einem kostenlosen Campingplatz. Klar, sagte sie, aber wenn ich Lust hätte, könnte ich auch zu ihr aufs Hausboot kommen. Diese Einladung nahm ich gerne an.

Gemeinsam haben wir mehrere Tage ihr Hausboot winterfest gemacht, Folie ans Fenster geklebt, Boden verlegt und den Kühlschrank geleert, abends zusammen Netfllix geschaut und der Wahl am 5.November entgegengefiebert.

Ich konnte meine Batterien, nicht nur die von meinem Handy, sondern meine eigenen wieder aufladen.

Einige Wochen zuvor setzten mich Ken und Danny, meine Freunde aus Grand Junction, in Telluride ab. Ein kleines touristisches Dorf in den Bergen, auch „the 25$-Burger-Town“ genannt.

Utah war von einer neuen Hitzewelle betroffen, so dass ich noch immer nicht weiter Richtung Westen fahren konnte. Also doch noch einmal zurück in die Berge. Zu einer perfekten Zeit, um die Herbstfärbung der Blätter miterleben zu können. 

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Nahe Tellurides traf ich auf einem Umsonstcampingplatz auf Nadine. Sie fiel mir auf, weil sie zielstrebig auf einen freien Platz zusteuerte, ihr Auto parkte, schnell Feuerholz sammelte, das Feuer entfachte und Essen zubereitete. Zack, zack. Ich sprach sie an und sie erzählte mir ihre Geschichte. Sie lebt gerade in ihrem Auto, weil sie sich mit ihren WG-Mitbewohnern zerstritten hat. Duschen kann sie auf ihrer Arbeit, im Hotel, indem sie arbeitet. Sie verdient gutes Geld, wird bezahlt für Ausflüge, die sie mit Gästen unternimmt und die ihr selbst auch viel Spass machen. Darum, den Job aufzugeben und wo anders, wo es einfacher ist, ein Zimmer oder eine Wohnung zu finden, kommt für sie nicht in Frage. Für den kalten Winter hat sie eine Lösung. Ein Platz für das Auto mit Stromanschluss, so dass sie heizen kann.

Maren, Christian und Tomte waren ebenfalls in den Bergen Colorados unterwegs. Wir wollten uns, wenn möglich, irgendwo treffen. Konkret etwas ausmachen konnten wir alle nicht. Auf so einer Radtour lässt es sich selten bis zum nächsten Tag planen. Wir sahen uns eher als erwartet wieder. In Gunnison mieteten sich die drei in einem Motel ein. Tomte hatte Schnupfen. Und ich schaffte es, mit einem Mal umsteigen, an einem Tag die 200 km nach Gunnison zu trampen.

Trampen mit Fahrrad funktioniert hier einfach wunderbar. Das liegt an der weit verbreiteten Hilfsbereitschaft und an der Tatsache, dass hier einfach eine Menge Pickups auf den Strassen unterwegs ist.

Nach zehn Minuten Daumen rausstrecken wurde ich schon ungeduldig, überlegte mir einen Alternativplan. So lange warten war ich nicht gewohnt. Nach elf Minuten hielt Joe, welcher auf dem Weg nach Gunnison war, um eine zugelaufene Katze 800 km zu seinem Freund zu bringen. Entfernungen haben hier eine ganz andere Dimension als in Deutschland…..

Unterwegs mit Maren, Christian und Tomte

Radfahren mit einem zehnmonatigen Kind ist ein ganz anderes Erlebnis. Wir fuhren eine Woche zusammen über den Keblerpass nach Delta. Unser Rythmus war auf die Bedürfnisse von Tomte abgestimmt. In seiner ersten Schlafphase am späten Vormittag fuhren wir 20-30 km. bis er aufwachte, Hunger hatte, spielen und aus seinem Fahrradanhänger raus wollte.

Ob wir nachmittags noch einmal weiterfahren konnten, hing von Tomtes Schlafbedürfnis ab. 

Es blieb viel Zeit zu kochen, zu lesen, Feuer zu machen, zu quatschen. Ich genoss diese Woche sehr.

In Delta trennten sich unsere Wege. Die drei fuhren weiter nach New Mexico und ich bog nach Utah ab. 

In Moab bei Teri Ann

Über Warmshowers lernte ich in Moab Teri Ann kennen. Eine begnadete Künstlerin. Unglaublich unzuverlässig, absolut direkt, was hier in Amerika sehr unüblich ist, mit einem riesengrossen Herz. 

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Zuerst dachte ich: „Oh, Gott, was ist denn das für eine.“ und dann habe ich sie sehr ins Herz geschlossen, selten habe ich so gelacht. Ihre Vorfahren waren mit die ersten, die die Gegend um Moab besiedelten. Sie besitzt ein riesiges Grundstück etwas ausserhalb von Moab. 

Und weil sich Moab von einer halbvergessenen Mienenstadt zu einem touristischen Superhotspot wandelte, muss sich Teri Ann um das Finanzielle keine Sorgen mehr machen. Ihr Grundstück ist einige Millionen Dollar wert. 

Alteingesessene wohnen in maroden Mobilhomes auf millionenschweren Grundstücken. Und auf verkauften Nachbargrundstücken lassen die neuen Eigentümer riesige Villen, bzw. Apartments bauen. Ein interessanter Mix. 

Teri Ann nahm mich zu einem Powwow mit. Über zwei Tage messen sich verschiedene indigene Tribes im Tanzen und Trommeln mit Gesang. Ein unvergessliches Erlebnis. Die energiegeladene Stimmung, die bis unter die Haut gehenden Gesänge, das dumpfe durchdringende Schlagen der Trommeln lassen Teri Ann regelmässig zum Weinen bringen. Und auch ich war tief berührt und dankbar, dass ich dabei sein konnte.

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Ich lernte auch Joel, einen von Teri Anns langjährigen Freunden kennen. Als ich mich wieder auf den Weg machte, kam er extra noch einmal vorbei um sich von mir zu verabschieden. Vor langer Zeit trampte er durch Amerika, blieb in Moab hängen, fand hier schnell eine Arbeit, kaufte sich ein Grundstück. Er baute Häuser. Durch einen Unfall vor einigen Monaten brach er sich eine Schulter. Noch immer kann er seinen Arm nicht vollständig anheben. Er lernt, damit zu leben. 

Auf Rat von Teri Ann besuchte ich den Hatch Rock. Hier leben Mormonen, die ihre Häuser halb in den Bergfelsen bauen, und die Männer mehrere Frauen haben. Unzählige Kinder schwirrten herum. 

Ich erhoffte mir, dass ich von einer der Familien für eine Nacht aufgenommen werden würde, dass sie sich etwas Zeit nehmen würden, mir meine Fragen zu beantworten. Ich kam mit einer Teenagerin ins Gespräch, welche nie eine öffentliche Schule besuchte, diese auch nicht vermisste, und gerade dabei war einen Riesentopf Knoblauch einzulegen. Die Kinder, vielleicht auch eher die Mädchen, müssen schon früh mithelfen. Unser Gespräch konnten wir leider nicht vertiefen, denn ich kam nicht bei einer Familie unter und musste wegen der schon aufkommenden Dämmerung schnell weiter. Bevor es ganz dunkel wurde fand ich den bisher schönsten Platz für mein Zelt.

Als ich am nächsten Tag an der unglaublich befahrenen und engen Strasse nach Monticello meinen Daumen ausstreckte, hielt ein Polizeiwagen neben mir an. In der Erwartung, nun eine Verwarnung oder ein Bussgeld wegen nicht erlaubten Trampens zu bekommen (ich kenne die Gesetzeslage nicht), ging ich auf den Sheriff zu.

„You need a ride?“

„Yes.“

Die Geschichten von Polizisten, die ihre Machtstellung missbrauchen um Frauen zu missbrauchen gingen mir kurz durch den Kopf. Ich prägte mir das Kennzeichen ein. Über Funk gab er durch, dass er gerade nicht verfügbar ist, weil er mich nach Monticello fährt. Was er heute sonst schon gemacht hätte, fragte ich ihn. „Die Strasse abgesperrt, damit eine Kuhherde sicher von der einen zur anderen Weide getrieben werden konnte.“

Ich fragte ihn, ob sich die Kriminalitätsrate im Laufe der Jahre geändert hätte. „Ja, es gibt mehr drogenbasierte Kriminalität. Autos aufbrechen, Händyklau…. Auch wird Marihuana im Nachbarbundesstaat Colorado legal gekauft und hier in Utah illegal verkauft. Aber die Hauptdroge ist Fentanyl, welches aus Mexico geschmuggelt wird. Billig in der Herstellung und absolut süchtig machend.“ Der Sheriff setzte mich am Supermarkt in Monticello ab.

Der Burrtrail

Ich folgte der Route, die Christian für mich ausgearbeitet hatte. Ich selber habe echt keine Geduld und bin auch tatsächlich etwas überfordert, wenn es darum geht, unter den unendlich vielen Sehenswürdigkeiten hier im Westen der USA eine Auswahl zu treffen und sie mit einer sinnvollen Route zu verbinden. Christians Route führte mich über das Valley of the Deaths zum Burrtrail.

Valley of the Death, Click on foto to enlarge

Angstvoll und hibbelig fuhr ich dem Burrtrail entgegen. 2500 Höhenmeter auf 120 km, keine Möglichkeit, Wasser aufzufüllen oder Essen zu kaufen. Würde ich es schaffen? Was ist, wenn mein Fahrrad kaputt geht? Diese Zweifel und Unruhe nervten mich. Habe ich nicht schon viel längere Strecken ohne Versorgungsmöglichkeiten, noch viel mehr Höhenmeter, noch viel einsamere Strecken auf viel schlechteren Strecken gemeistert? Auch der angekündigte Regen stresste mich, denn der kleine unasphaltierte Abschnitt des Burrtrails ist bei Regen unbefahrbar. Sieben Liter Wasser und die Taschen voller Essen bremsten mich in meiner Eile.

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Völlig ohne Probleme erreichte ich Boulders, lud in dem kleinen einzigen Supermarkt mein Handy auf und kaufte mir 250g Dorritochips für 6,59$ (!)

Karen

In Escalante lernte ich Karen im Supermarkt kennen. Ich fragte sie mit meinem sehr deutschen Englisch nach Gemüse. Sie freute sich über die Gelegenheit endlich mal wieder Deutsch, welches sie auf dem College lernte, anzuwenden und lud mich zu sich nach Hause ein. Wir sprachen weiter deutsch, ich korrigierte sie, beantwortete ihre Grammatikfragen und sie lobte mich als sehr geduldige Lehrerin.

Karen und ihr Ehemann sind sehr gläubige Mormonen. Neben ihren eigenen sieben Kindern adoptierten sie drei weitere aus einem russischen Waisenhaus. Familie ist das Wichtigste und sie muss gross sein, denn im Himmel sind alle wiedervereingt. Auf Erden leben die verstorbenen Familienmitglieder als Geister bei den Lebenden. Jesus Christus wird bald als Prophet zurückkommen. Als Vorbote werden die derzeitigen Katastrophen interpretiert. der Ukainekrieg, Gaza, der Klimawandel. Warum sich Jesus Christus mit Katastrophen ankündigt fragte ich sie. „Weil es so in der Bibel steht.“

Während ihre eigenen Kinder ein normales amerikanisches Leben führen, stolpern ihre Adoptivkinder auf schwierigstem, holprigen Weg durchs Leben, stürzen ab, richten sich halbwegs wieder auf und stolpern weiter. Alle drei. Ihre ersten Jahre auf der Welt waren einfach Scheisse. Als elfjährige sah zum Beispiel die Adoptivtochter den Mord an ihren Eltern. Keine Liebe der Welt kann im Nachhinein reparieren, was in den ersten Lebensjahren kaputt ging. 

Smokey-Mountain-Road

Für mich ging es auf der Smokey-Mountain-Road weiter. Durchgehend unasphaltiert und entweder steil bergauf oder steil bergab. Gefühlt habe ich zweieinhalb Tage Charlotte nur bergauf oder bergab geschobenl, ja sogar gehoben und wenn es einmal eben war, schob ich Charlotte durch den Sand.

Doch dieser Anblick war mir alle Anstrengung wert:

Ein einziges Auto sah ich in der Zeit. Nein, das stimmt nicht ganz, denn noch ziemlich am Anfang kam mir ein kleines Auto entgegen und zwei ältere Damen fragten mich ziemlich aufgelöst, eine Papierkarte in der Hand, wie weit es noch zur Hauptstrasse sei. „Was ist denn mit den beiden los“, fragte ich mich. Die beiden sahen ziemlich fertig aus.

Und am Ende wusste ich warum und fragte mich, wie die beiden diese Strecke mit diesem Auto geschafft haben.

Auch ich hatte nach diesen zweieinhalb Tagen wieder Asphalt unter den Reifen raste abends noch weitere 10 km zu einem Public Land. Diese Public Lands sind was tolles. Sie gehören dem Staat, sind ungezäunt und man kann auf ihnen einfach das Zelt aufschlagen. Ich durfte mich im Windschatten von Julies Trailer niederlassen, während ausserhalb dieses Windschattens lose Büschel im aufgewirbelten Staub herumflogen.

Julie lud mich zum Abendessen in ihren Trailer ein. Es ging ihr nicht gut. 

Mit Tränen in den Augen erzählte sie mir vom Selbstmord ihres Mannes vor einem halben Jahr und ihren Schuldgefühlen.

Julie setzte mich am nächsten Tag in Page ab. Es fing an zu regnen, ich hatte Gegenwind, ich war  hungrig und ich sehnte mich so sehr nach Pause. Auf einem Parkplatz sprach ich Kelly an und landete auf ihrem Hausboot.

Und sonst?

Ich wurde auf einen Flug eingeladen, konnte mir aussuchen, ob über den Zion NP oder den Grand Canyon. Ich wählte den Grand Canyon, und möchte an dieser Stelle noch einmal ein Grosses DANKESCHÖN sagen.

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Ich fand wunderschöne Plätze zum Übernachten…

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und weniger schöne….

mal mit, mal ohne Zelt

Meine Route führte zum Valley of the Fire.

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zu den Vermillion Cliffs

Und in den Yoshua Tree NP, durch den ich an einem Tag ab 7:00 Uhr morgens durchgerast bin, weil ich einfach Lust hatte, mich zu verausgaben.

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Was es nur in Amerika gibt

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Die letzten Tage in der USA brechen an. Zusammen mit Maren, Christian und Tomte werden wir in Mexico meinen Geburtstag mit Tequila und Tacos, und Weihnachten unterm Kaktus feiern.

Euch allen schon mal frohe Weihnachten…..

Ein Gedanke zu “Ab in die Wüste

  1. Immer wieder schön zu lesen auf was für tolle Menschen du trifft. Das kann nur an dir liegen. Ich wünsche dir einen wunderbaren Geburtstag und eine schöne Weihnachtszeit. Sigrid

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