Warteschleife in den Rockies

Oben auf den Bergen liegt tatsächlich Schnee. Da wo ich vor zwei Tagen heruntergefahren bin, als es noch Sommer war.

Hier in Moab regnet es den ganzen Tag. Mein Fahrrad steht draussen an die Hauswand gelehnt. und wird nass. So geht mal endlich die ganze Staubschicht wieder ab. 

Endlich bin ich in Moab. Zwei Monate später, als ich dachte. 

Der Morgen des Abschiedes von Ken und Dany in Grand Junction Mitte August begann mit einer Panikattacke. Ich checkte den Wetterbericht für Moab. 36 Grad. Heute, morgen, die ganze Woche, die nächste Woche. 

Bin ich in den Westen der USA gefahren, nur um von einer unerträglichen Hitze in die nächste zu geraten?

Plan B musste her. 

Wo ist es kalt? – Da wo es hoch ist. 

Wo ist es hoch? – In den Bergen.

Wo sind hier die nächsten Berge? – Die Rocky Mountains, keine 150 km von Grand Junction.

Ich checkte den Wetterbericht für Crested Butte, eine kleine Stadt, mitten in den Bergen: 23 Grad, nachts 5 Grad. Perfekt!

Ich arbeitete eine Route heraus, Berge, Pässe rauf und runter und eine tiefe Zufriedenheit gepaart mit kribbeliger Vorfreude breitete sich in mir aus. 

Am nächsten Tag fuhr ich 1600 Höhenmeter hinauf, davon fünf Stunden in strömendem Regen.

Ein Pickup kam mir entgegen, der Fahrer fragte, ob er mich nach oben fahren soll. was für ihn 26 km Umweg bedeutet hätte.

Ich lehnte ab. Wie sehr genoss ich diese wohlige Kälte, die Regentropfen, die meine Brillengläser hinunterliefen und meine Regenjacke, -hose und -überschuhe durchfeuchteten. 

Je höher ich fuhr, und mittlerweile war ich auf 3100mNN, desto mehr Sauerstoff schien diese wunderbar frische Luft zu haben, was natürlich Quatsch ist. 

Kurz vor dem Pass baute ich mein Zelt abseits der Strasse zwischen den Bäumen auf, setzte Wasser auf, wärmte mir am Tee die kalten Hände, die Füsse in warme Wollsocken gepackt.

Ein Traum!

Der Sommer sei weird – seltsam, sagten die Leute in den Bergen. Zuviel Regen, viel zu viel.

Begleitet von Blitz, Donner, Windböen und Regenschauern erklomm ich den nächsten Pass, den Keblerpass, eine staubig, steinige Schotterspiste wenn sie trocken ist, und eine „Erdnussbutter“- Strasse, wenn sie nass ist. 

Ich rollte hinunter nach Crested Butte, setzte mich auf eine Bank vor einem Supermarkt, stopfte Pizza in meinen leeren Magen und erfreute mich an den Sonnenstrahlen, die sich scheinbar mühsam durch die Wolkenwand kämpften, bevor die nächste Regenfront die Sonne wieder schluckte.

Ein free Shuttlebus fuhr mich die 40 km nach Gunnison und hier hatte eindeutig die Sonne die Oberhand. 

Mein Zelt baute ich ausserhalb der Stadt auf einem Plateau mit dem Namen Hartman Rocks auf. 

Hier gibt es eine begrenzte Zahl an Zeltplätzen, maximaler Aufenthalt: 14 Tage, Kosten 0. Wasser: keins.

Ich fand endlich den lang ersehnten Pausenplatz und konnte vom Weiter – immer weiter-Modus in den Pausenmodus schalten.

 

Es war mein Platz, mein Zuhause, ein Ort, an dem ich sein konnte ohne diesen Gaststatus zu haben, an dem ich aufstehen, schlafen, essen, lesen, nichtstun konnte ohne dabei irgendjemand anderen berücksichtigen zu müssen. Ein Ort, wo ich nicht die Angst haben musste, entdeckt zu werden, oder nicht willkommen zu sein.

Zehn ganze Tage lang fuhr ich jeweils morgens nach dem Frühstück hinunter in die Stadt, zuerst zu MacDonalds, Handy aufladen, Cafetrinken, mich nett mit einer der MitarbeiterInnen auf spanisch unterhalten, mit der Welt telefonieren, Wasserflaschen auffüllen. Dann zum Supermarkt und schliesslich wieder zurück zu meinem Zuhause.

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Dort sprach mich Ron an und lud mich zum Dinner auf „seinem“ Campplatz ein. Ron pflegte 15 Jahre seine an Demenz erkrankte Ehefrau, bis sie vor zwei Jahren starb. Die beiden zogen nach Tennessee, wo sie niemanden kannten, und Ron, mit der Pflege beschäftigt, auch niemanden kennenlernte.

Ron füllt sein Leben nun wieder mit neuem Leben.

Nachdem Ron sich einige Tage später verabschiedete, fühlte auch ich mich wieder bereit für das unstetige, ungewisse Leben auf dem Fahrradsattel. 

Abschied nehmen zu müssen ist für mich das Schlimmste an so einer Radreise, Abschied nehmen, von liebgewonnenen Menschen, die ich nie wieder sehen werde, Abschied nehmen von Orten, die mir, wie hier in Gunnison, so viel gegeben haben. 

Ich habe geweint, als ich diesem Ort den Rücken kehrte. 

Gunnison

Auf einem Campingplatz lernte ich Pete und Trip kennen, zwei Jäger, die mit Pfeil und Bogen und der Hoffnung einen Elch zu erlegen in den Bergen unterwegs waren. Die beiden überzeugten Trumpanhänger luden mich zum Abendessen ein. Sie waren tatsächlich die ersten, die mir in ihrer Logik schlüssig erklären konnten, warum Trump der einzig wahre President für dieses Land ist. 

Ihre Argumentation möchte ich hier nicht im Detail wiedergeben. Stichworte wie Flüchtlinge, Klimalüge, gestohlene Wahl zeigen die Richtung an. 

Am Marshallpass, der auch Teil des berühmten Great Divide MTB Trail ist, schien die Sonne. Ich traf endlich auf andere Radreisende, wie Kai, der von Alaska nach Argentinien unterwegs ist. 

Ich hätte hier gerne meine Charlotte stehen und liegengelassen, Schuhe angezogen und wandern gegangen, wäre gerne auf den Gipfel des Mount Ouray gestiegen. Ich tat es nicht, weil ich meine Sachen nicht so lange unbeaufsichtigt lassen wollte, weil ich nicht gerne alleine wandere und weil ich es für zu leichtsinnig hielt, hier alleine loszuziehen. 

Unten in Salida schrieb mir Ron, er sei unterwegs Richtung Salida. 

Wir trafen uns etwas ausserhalb der Stadt auf einem der überall in Colorado verteilten Umsonst- Campingplätzen, feierten unser Wiedersehen und beschlossen, die nächsten Tage gemeinsam zu verbringen. 

Wir fuhren zurück zum Marshallpass. Ganz oben gab es einen Campsite, mit Feuerstelle und mehr Feuerholz als man in einer Woche verbrennen konnte. 

Wir machten uns am nächsten Tag zu Fuss auf den Weg zum Gipfel des Mount Ouray. Ron hatte wirklich Schwierigkeiten mit der Höhe, aber er kämpfte sich tapfer Schritt für Schritt nach oben. 12.000 feet wollte er schaffen. So hoch oben war er noch nie.

Ich wollte den Gipfel schaffen, oder wenigstens die 4000er Marke und bin auf 3850mNN wieder umgekehrt. zu steinig war der Weg. Ich wollte nichts riskieren und Ron nicht zu lange warten lassen. 

Auf knapp 3700 Metern liegt der Cottonwoodpass. Kurz vor dem Dunkelwerden erreichte ich ihn. 

Einige Leute klatschten, als ich ankam, und ich freute mich über die anerkennenden Gesten.

Dann schnell wieder runter, einen Platz zum Schlafen finden, Zelt aufbauen.

Nur der 3/4 Mond spendete noch etwas Licht. Ohne zu Essen, denn zum Kochen war es zu dunkel und ich zu müde, kroch ich in meinen Schlafsack. Ich hatte Kopfschmerzen. Zu wenig getrunken.

Aus meinem Tagebuch (abends am selben Tag)

„Ohne gefrühstückt zu haben, und ohne ein Abendessen zuvor bin ich die 900 Höhenmeter hinab zum See gefahren. In der halben Stunde dort zwischen den Schauern, die immer wieder kamen, hatte ich endlich einen Platz zum Frühstücken gefunden. Ich weiss nun, warum der morgentliche Cafe mehr ist als nur dunkelbraunes Cafewasser. Er gibt mir das Gefühl, dass alles in Ordnung ist. Er gibt mir ein Gefühl der Sicherheit, ja sogar der Geborgenheit.“

Ich war auf dem Weg zurück nach Grand Junction, zurück zu Ken und Dany. Der Wetterbericht aus Moab schien vielversprechend zu sein. Knapp 27 Grad, Tendenz fallend. In Gunnison machte ich für drei Tage Zwischenstopp. Es fühlte sich an wie Nach Hause kommen. Oh, mein geliebtes Gunnison. 

Und nachdem Silva mir einige Tage später über den Weg lief, während ich gerade vor dem verschlossenen Friedhofstor in Cinnamon meine Mittagspause beendete, wurde mir wieder bewusst, was Unterwegs zu sein bedeutete.

Ob ich ihr kurz helfen könnte, fragte sie mich. „Klar.“ 

Es ginge darum, ihren Grabstein auszumessen.

Silva auf ihrem Grabstein sitzend

Silva wohnt seit einigen Jahrzehnten in diesem kleinen Dorf und zählt noch immer als „neigschmeckte“, als Zugezogene. Ihre Kinder sind weit weg. Wer, wenn nicht sie selbst wird sich um ihren Grabstein kümmern?

Ein kleiner Zaun soll drum herum, und seine Länge haben wir ausgemessen.

Warum sie nicht zu ihren Kindern zieht, habe ich sie gefragt. „Ich fühle mich hier wohl, obwohl ich so einsam bin und jede Woche fünf Bücher lese, und ich das Trinkwasser aus der Stadt kaufe, und auch sonst sparsam mit Wasser umgehe, weil ich Angst habe, dass die Zisterne austrocknet. Ja sogar die Wäsche lasse ich in der Stadt waschen.“

„Warst du schon im Black Canyon National Park“, fragte sie mich.

Und weil ich verneinte, packten wir kurzerhand meine Sachen und Charlotte auf die Ladefläche ihres Pickups und fuhren die 30 km zum Park. 

Hier und Jetzt

Nach fast drei Monaten fern von meiner Heimat, fühle ich mich endlich angekommen. Angekommen im HIER und JETZT, angekommen im Unterwegs sein, angekommen im Radreiseleben. Ohne ein Gestern und ohne ein Übermorgen. Nur das Heute zählt, und manchmal ein Morgen. 

@fivebags.de

Ich habe wieder zu einer inneren Ruhe gefunden, habe das Vertrauen in mich und die Menschen um mich herum wiedergewonnen. Raste nicht mehr aus, wenn ich die zweite Socke nicht sofort finde, was ich tatsächlich gemacht habe.

@fivebags.de

Wenn irgendetwas nicht so klappt, wie ich es geplant habe, bleibe ich gelassen und habe wieder die Überzeugung, dass  dafür etwas besseres, anderes passieren wird.

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Ich musste mich sputen, weil ich mich am nächsten Sonntag in Gateway mit meinen zu Freunden gewordenen Warmshowerhosts Ken und Dany verabredete, um hier ein Runde zu wandern und dann gemeinsam im Auto nach Grand Junction zu fahren, wo ich das erste Mal seit vier Wochen mal wieder unter einer richtigen Dusche in einem richtigen Bad stehen würde.

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Und dann stiegen die Temperaturen in Moab wieder auf über 35 Grad……

Zwischen den Zeilen

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10 Gedanken zu “Warteschleife in den Rockies

  1. Liebe Heike, wie schön ist es immer von dir zu lesen und an deiner Reise teilzuhaben. Nach so vielen Jahren sprechen wir immer noch von unserer Heike. Es waren nur Stunden, die wir miteinander verbracht haben, aber sie sind tief im Herzen verankert. Pasd auf dich auf. Liebe Grüße Sigrid und natürlich auch Gregor mit Calli.

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  2. Liebe Heike,

    vielen herzlichen Dank für Deinen tollen Blog. Ich freue mich immer sehr, wenn es etwas Neues von Dir gibt. Oft denke ich an Dich und Sigrid (Kommentar vor mir) spricht mir aus der Seele. Ich bin froh, dass wir uns kennenlernen durften. Hoffentlich sehen wir uns eines Tages wieder.

    Pass gut auf Dich auf und bleib gesund.

    liebe Grüße von Sonja und auch von Hermann

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  3. Hi, I am now not sure wether you are Charlotte or Heike or both and if you are also the person whom I had some e-mail contact with? I did subscribe so I saw at first some very beautiful photos passing, the sort of photos I feel very attracted too. The landscape and the sort of selfies. The feeling of NOT missing out on cycling in the rain and the feeling of happiness after rain when the sun shines and the hardships easily dismissed, until they arrive again. It looks like you are fully in again, and it shows in your post! Beautiful done X Cindy

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