
„Dar Papayas“ – „Papayas geben“ – Diesen kolumbianischen Ausdruck lernte ich noch bevor ich die Grenze überschritt. Er bedeutet soviel wie „zum Klauen einladen“, und darum habe ich in Kolumbien auch nur sehr selten meine gute Kamera herausgeholt.

Kolumbien. Vielleicht wäre dieses Land ein besserer Freund geworden, wenn ich es von Nord nach Süd durchquert hätte, wenn ich zuerst die sicheren Provinzen bereist hätte, wenn ich, wie nun zum Ende meiner Zeit in diesem Land die wunderschönen, friedlichen Dörfer mit ihren buntbemalten Häusern, die so ungemein freundlichen und hilfsbereiten Menschen zuerst kennengelernt hätte. Wobei ich sagen muss, dass ich überall auf wirklich sehr, sehr nette Menschen gestossen bin.





Meine erste kolumbianische Stadt war Ipiales. Eine Grenzstadt, ok. Ich war hier bei einigen Leuten auf der Strasse froh, dass wir uns nicht im Dunkeln begegneten und ich las in ihren Blicken: ’Schade, dass wir uns nicht im Dunkeln begegnen.“
Ich fuhr mit dem Bus nach Las Lajas, Denn dort befindet sich die Kirche Santuario de Las Lajas. Ich habe mir schon vor sehr langer Zeit geschworen, diese Kirche einmal in meinem Leben in Echt zu sehen. Zuerst tränenverschwommen und dann wieder klar betrachtete ich gerührt dieses gewaltige Monument.


Mit dem Rad ging es nach nach Pasto, Erste unsichere Kilometer, bei denen ich um den Verkehr froh war. Ich bildete mir ein, je mehr Verkehr auf der Strasse, desto sicherer. Zum ersten Mal störten mich die vielen Autos nicht, zumal der Seitenstreifen breit war und es fast nur bergab ging.



Auch hier gab es viele Hunde. Sie sassen entspannt am Strassenrand als ob sie auf den Bus warten würden und ignorierten mich. In Peru wären sie aufgesprungen und kläffend auf mich zugerannt. Ich hätte angehalten, ihren Jagdinstinkt ins Leere laufen lassen, wenn nötig ein wenig herumgeschimpft und dann hätten sie sich wieder zurückgezogen.

Ueber die Route mit dem aufregendem Namen :“Trampolin de la Muerte“ging es nach Mocoa. Drei Tage in strömendem Regen, bergauf und bergab.








In Mocoa hatte ich einen Warmshowerhost, Jerney.
Er ist ausserdem der Administrator von Vibico. Vibico steht für Viajeros en Bicicleta por Columbia. Hier können sich Radreisende austauschen und fahrradfreundliche Unterkünfte, sowie Leute finden, die Radreisende bei sich übernachten lassen. So ähnlich wie Warmshowers, bloss zuverlässiger. Und wer schon länger nichts mehr von sich hat hören lassen, da wird nachgeforscht.

Ich blieb eine knappe Woche in Mocoa, obwohl es so unerträglich heiss und schwül war, oder vielleicht gerade deshalb. Die Hitze lähmte Hirn und Körper. Ich stolperte über die Hängematte, was ich sonst nie tue, ich vergass und verlor ständig irgend welche Dinge. Ich schleppte mich den Hang vom Dorf zum Haus hinauf als ob ich auf einen 5000ender steigen würde.
Ich konnte mich nicht aufraffen zu irgendwelchen Wasserfällen zu laufen, einzig und allein schaffte ich es zum Laden um mir ein Eis zu kaufen….Ich lernte Mabelo aus Mexico kennen, der ebenfalls mit dem Rad unterwegs war und das Risiko einging, in Kolumbien wild zu campen. Er bezahlte mit allem, ausser dem Rad und seinem aufgeschlitzten Zelt.
Normalerweise fahre ich einfach drauf los, beende den Radeltag, wenn ich Lust habe und finde dann ganz schnell einen Platz zum Schlafen, sei es, dass ich einfach mein Zelt irgendwo aufschlage, bei Leuten anfrage, zur Feuerwehr fahre oder ein Hostal suche.
Hier in Kolumbien überlasse ich nichts dem Zufall, plane zwei Nächte im Vorraus, benutze intensiv die App IOverlander, auf der Reisende unter anderem ihre Uebernachtungsplätze mit näherer Beschreibung posten. So fand ich ein Restaurant, wo ich sogar im Haus schlafen durfte, eine Fallschirmfliegerstation, bei der ich duschen und unter dem Dach sicher mein Zelt aufstellen konnte. Diesen Menschen bin ich sehr dankbar.

Auch die Feuerwehr, ob Freiwillige oder Berufliche ist wie fast in ganz Südamerika eine wunderbare Hilfe. Nicht einmal wurde ich bisher abgewiesen. als ich nach einer Uebernachtungsmöglichkeit fragte.


Nach Cali fuhr ich mit dem Bus rein und auch wieder hinaus. Zu gefährlich erschienen mir die Strecken.

Auch auf IOverlander fand ich jede Menge Warnhinweise. Es gibt sehr viele Radfahrer, denen nichts passiert ist, aber ich hätte mit der permanenten Angst vor einem Ueberfall keine Freude am Radfahren gehabt.
Cali, die Salsa-Hauptsadt. Hier wird getanzt. Freitags und samstags wird eine Allee für Autos gesperrt und dann tanzen dort 1000ende von Menschen. Es gibt Salsaschulen wie Sand am Meer.



Die Schönheit von Cali und den besonderen Flair entdeckt der Besucher erst nach einigen Wochen. Der erste Eindruck weckt sofortige Fluchtgedanken.

Drei Nächte, also viel zu kurz, blieb ich in Cali. Am ersten Tag lief ich ins Zentrum, meine Kamera blieb zuhause, machte verhalten ein paar Fotos mit meinem Handy, nicht ohne vorher abzuchecken, wer da in meiner Nähe ist. Abends erzählte mir ein anderer Hostal-Gast, wie er gerade heute morgen in dem kleinen Laden nebenan einkaufte, als dieser überfallen wurde. Sein Handy durfte er dann auch gleich mit abgeben.

In Armenia bot mir Mario über Vibico an, bei ihm zu übernachten. Er war nicht zuhause als ich vor der Tür stand. Seine Nachbarin war zufällig draussen, ich bat sie, Mario anzurufen. In einer halben Stunde sei er da. Die nächsten zwei Stunden verbrachte ich bei seiner Nachbarin und ihren beiden Töchtern auf der Terasse. Ihre Enkeltochter zeigte mir stolz ihr Engelchenkleid, indem sie am nächsten Tag – Halloween- , von Tür zu Tür gehend, Bonbons einsammeln würde. Ich nahm die Warterei gelassen, denn ich wusste mittlerweile, dass eine halbe Stunde nicht 30 Minuten dauert, dass „un ratito“ auch mal fünf Stunden bedeuten, und „fünf Minuten“ auch 90 Minuten lang sein können.

Ab Armenia verlor ich meine Angst. Viel entspannter fuhr ich auf engen Schotterstrassen oder wenig befahrenen Asphaltstrassen nach Salento, Filandia, Marcella und Palestina.

Kleine Dörfer, die mit ihren buntbemalten Holzhäusern inmitten der Caferegion Kolumbiens die Touristen anziehen. Auch abends schlenderte ich mit Kamera und ohne mulmigem Gefühl durch die Strassen.


Auch in Palestina kam ich bei der Feuerwehr unter. Ich hatte im Alojamiento 1 ein Vierbettzimmer ganz für mich alleine, hatte Wifi und durfte die Küche benutzen.

Ich unterhielt mich mit Christina (links von mir auf dem unteren Foto), einer der beiden Feuerwehrfrauen. Sie wuchs in der Region Huila auf. Ihren Vater erschoss die Guerilla als sie sieben war. Ihre Mutter musste sie und ihre Geschwister alleine aufziehen. Sie lebte in grosser Armut, Schuhe waren etwas besonderes. An manchen Tagen ging sie nicht zur Schule, der einstündige Schulweg war zu gefährlich. Sie entschied sich für ein Leben in Palestina, weil es hier friedlich ist. Zum Abschluss umarmten wir uns.

In Manizales kam ich bei Danielo unter. Auch er bot mir über Vibico ein Dach über dem Kopf an. Manizales hat 500.000 Einwohner und einen Markt, den ich mir natürlich nicht entgehen lassen wollte. Erst nach einer Weile fand ich heraus, warum ich mich hier so unwohl fühlte. 95% der Marktbesucher waren Männer. Die wenigen Frauen waren entweder Marktfrauen, Besucherinnen oder Prostituierte. Ich kaufte nichts und machte, dass ich wegkam. Schade.
Danielos Mitbewohnerin erzählte mir später, dass sie diesen Markt nur in Begleitung betritt.
Ich fuhr sämtliche Telefericos (Seilbahnen) rauf und runter, hatte einen freien Blick auf das Meer von Wellblechdächern, durch das sich enge Gassen schlengelten. In der Ferne klebten moderne Hochhäuser an den Hängen.
Auf den Bügersteigen werden in kleinen Verkaufsständen Socken, Schuhe, Aufladekabel, Kopfhörer und Handyhüllen verkauft. Dazwischen Cafestände. „Tinto“ heisst der gesüsste Cafe im kleinen Pappbecher ohne Milch.
Ich kramte meinen Geldbeutel hervor als jemand schneller war und für mich bezahlte. Wir kamen ins Gespräch. Er lebt von seinem Strassenverkauf und liebt seine Unabhängigkeit. Für die Kirche hat er in diesem streng katholischem Land nichts übrig. Die unterdrücke das Volk und halte es ruhig.

Noch einmal nahm ich den Bus, um mich 1500 Höhenmeter nach oben kutschieren zu lassen. Es ging noch einmal auf 4100 mNN hinauf, entlang des Los Nevados Nationalparkes.





Für einen kurzen Moment durfte ich durch die sonst dicke Wolken- und Nebeldecke einen Blick auf den Gipfel des Nevado de Ruiz werfen bevor er wieder hinter einer grauen Wand verschwand. Dieser Vulkan brach das letzte Mal vor 40 Jahren aus. 25.000 Menschen starben insgesamt.

Den Menschen im naheliegenden Armero wurde empfohlen zuhause zu bleiben und Fenster und Türen zu schliessen. Die Stadt liegt heute unter einen meterhohen Lava- und Schlammschicht begraben. Dem dreitägigen Todeskampf Omayra Sanchez gegen den Schlamm konnten die Zuschauer weltweit im Fernsehen zusehen…..





In Murillo liess ich mein Kolumbienabenteuer langsam ausklingen.







Ich verabschiedete mich von diesem Land mit seiner so leidvollen Vergangenheit, deren Leidtragende die normalen Menschen waren und sind, in dem die Narcos, die Guerilla, die Paramilitärs, das Militär ihre Konflikte gewaltsam austragen. Einem Land mit seinen so hilfsbereiten, freundlichen, offenen Menschen, welche mir hier auch eine so wunderbare Zeit bescherten. Gracias a ustedes.


Zwischen den Zeilen
Streik in Ecuador
Auslöser für den Streik war u. a. die Ankündigung der Regierung, die Dieselsubventionen abzuschaffen. Otavalo war einer der Schwerpunkte. Nach einem Monat und drei Toten wurde der Streik erfolglos beendet.







ein schöner Zufall
Nachdem ich mich durch die Strassenblockaden herzklopfend gekämpft hatte, lernte ich Kristina und Jens in Cotacachi kennen. Sie waren drei Jahre lang mit ihrem Auto in Lateinamerika gefahren und leben nun glücklich in diesem kleinen Ort in Ecuador, noch immer in ihrem Auto.

Kartoffeln einbringen in Murillo




Letzte Tage in Bogota



und noch ein paar Impressionen











Und dann ging es weiter zurück nach Europa











